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28.06.2024 /15:03:37
HINTERGRUND-Haushaltsstreit der Ampel in der Zielkurve?

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Dreier-Spitzenrunde strebt politische Einigung an

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Etatentwurf 2025, Dynamisierungspaket, Nachtrag 2024

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Hoher Regierungsvertreter: "Ich bin nicht ohne Optimismus"
 
- von Holger Hansen
Berlin, 28. Jun (Reuters) - Bei den Verhandlungen in der
Regierung über den Bundeshaushalt 2025 ist kaum eine Woche
vergangen, in der nicht öffentlich über Prioritäten und die
Schuldenbremse gestritten wurde - bis hin zu Warnungen aus den
Reihen der Koalitionspartner SPD, Grünen und FDP vor einem Bruch
der Koalition. Nach fast fünf Monaten biegt die Regierung nun
womöglich in die Zielkurve ein. Es folgen Fragen und Antworten,
wie es weitergeht:
GRUNDSATZEINIGUNG IN DER NÄCHSTEN WOCHE?

Die Bundesregierung verfehlt ihr Ziel, den Entwurf am 3. Juli im Kabinett zu beschließen. Nächste Möglichkeit ist die Kabinettssitzung am 17. Juli. Am 10. Juli fällt die wöchentliche Zusammenkunft aus, weil Bundeskanzler Olaf Scholz und mehrere seiner Kabinettsmitglieder beim Nato-Gipfel in Washington sind.

In der Regierung wird daher angestrebt, dass Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in ihren Dreier-Runden kommende Woche eine Einigung auf Eckpunkte und die Finanzierung erreichen. Die Beamten im Finanzministerium benötigen dann etwa zwei Wochen, um die politische Einigung in den hunderte Seiten umfassenden Gesetzentwurf zu gießen. "Ich bin nicht ohne Optimismus, dass das gelingt", sagt ein hochrangiger Regierungsvertreter.

IST DAMIT EIN ENDE DES AMPEL-STREITS IN SICHT?

Das ist kaum zu erwarten. In den Parteien und Fraktionen von SPD, Grünen und FDP herrschen ganz unterschiedliche Erwartungen an den Haushalt - etwa bei der sozialen Flankierung, beim Klimaschutz und Transformation, in der Steuer- und Fiskalpolitik. Bis zur Verabschiedung des Etats im November ist es noch ein langer Weg. Durch die Landtagswahlen in Ostdeutschland im September ist weitere Unruhe programmiert.



GIBT ES FESTGELEGTE FRISTEN UND VORGABEN ZUM VERFAHREN?

Mit der Dreier-Runde Scholz, Habeck und Lindner weicht die Ampel von der Bundeshaushaltsordnung ab, dem Regelwerk für die Aufstellung und Ausführung des Haushalts. Das kennt keine solche Spitzenrunde. Das zeigt, der Streit ist auf anderen Ebenen nicht lösbar. Üblicherweise klärt der Finanzminister Streitpunkte in Chefgesprächen mit den einzelnen Ministerinnen und Ministern.

Der im Frühjahr festgelegte Zeitplan sieht vor, dass bis zum 16. August der Entwurf an den Bundestag geschickt wird. Das Parlament könnte dann in der ersten Sitzungswoche nach der Parlamentspause ab dem 9. September darüber beraten. Bislang ist vorgesehen, dass der Bundestag den Etat am 29. November verabschiedet und dieser den Bundesrat am 20. Dezember passiert. Zustimmen muss die Länderkammer nicht. In Stein gemeißelte Zeitpläne gibt es aber nicht. Ein Haushalt für 2025 muss noch nicht einmal zwingend in diesem Jahr beschlossen werden.

WELCHEN MINISTERIEN DROHEN EINSCHNITTE?

Eine Handvoll Ministerien riss mit ihren Ausgabenanmeldungen Anfang Mai die Vorgabe, sich an den 2023 beschlossenen Finanzplan zu halten. In der Summe überschritten alle zusammen die Vorgaben des Finanzplans um "mehr als 20 Milliarden Euro", hieß es in Regierungskreisen.

Den größten Etat hat das Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD), das nach Lesart des Finanzressorts mehr als sieben Milliarden Euro über dem Finanzplan liegt. Dort schlagen die 2023 beschlossenen Bürgergelderhöhungen zu Buche. Direkte Leistungskürzungen sind kaum möglich.

Als großer Brocken gilt auch das Verteidigungsressort von Minister Boris Pistorius (SPD). Der 100-Milliarden-Euro-Sondertopf für eine bessere Ausrüstung und Waffenkäufe der Bundeswehr dürfte Ende 2027 erschöpft sein. Der Finanzplan muss daher ab dem Jahr 2028 abbilden, wie die Verteidigungsausgaben aus dem regulären Etat finanziert werden können. Dabei geht es um jährliche Mehrbeträge von mindestens 25 Milliarden Euro.

Für Verdruss im Finanzministerium sorgten vor allem das Auswärtige Amt von Annalena Baerbock (Grüne) und das Ministerium für Entwicklungshilfe unter Svenja Schulze (SPD), die nach Regierungsangaben jeweils rund zwei Milliarden Euro mehr anmeldeten als im Finanzplan zugestanden. Auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will mehr Geld. Sie müsste rund eine Milliarde Euro einsparen. Ihr Ministerium lehnte das ab: Die Sicherheit sei "kein Bereich, in dem gespart werden kann."

Aus diesen Ministerien gab es bislang kein grünes Licht, dass sie eine Einigung mit der Dreier-Runde erzielt hätten. "Wir sind noch nicht zufrieden", hieß es aus einem Ministerium.

DYNAMISIERUNGSPAKET FÜR MEHR SCHWUNG IN DER KONJUNKTUR?

Zudem strebt die Koalition ein Dynamisierungspaket an, das mehr Wirtschaftswachstum ermöglichen soll - und damit womöglich auch die Steuereinnahmen erhöht. In Teilen der Regierung hieß es aber zurückhaltend, ein großer Wurf sei nicht zu erwarten. Scholz, Lindner und auch Habeck hatten angekündigt, dass es unter anderem darum gehen werde, das Arbeitsangebot zu erhöhen - etwa für ältere Beschäftigte die Anreize zu verstärken, länger im Job zu bleiben. Auch bei Forschungsförderung und Abschreibungen solle mehr getan werden.

MEHR SPIELRAUM DURCH SCHLECHTE KONJUNKTUR?

Etwas Entlastung kommt paradoxerweise von der schlechten Konjunktur. Lindner kann nach früheren Berechnungen für 2025 rund acht Milliarden Euro mehr an neuen Schulden machen als im Finanzplan vorgesehen. Die Schuldenbremse lässt Luft, damit die Regierung in schlechteren Zeiten gegensteuern kann. Lindner kann daher für 2025 mit neuen Schulden von bis zu 24 Milliarden Euro planen, bei Einhaltung der Schuldenbremse.

WO GIBT ES NOCH SPIELRAUM?

Hinzu kommt möglicherweise ein Nachtragshaushalt für 2024, den die Regierung zeitgleich mit dem Etatentwurf für 2025 überlegt. Die Schuldenbremse könnte auch für 2024 der schlechteren Konjunktur angepasst werden und damit eine noch höhere Neuverschuldung erlauben. In der Koalition ist die Rede von einem zusätzlichen Spielraum von elf bis zwölf Milliarden Euro. Lindner könnte die zusätzlichen Kredite 2024 teilweise dazu nutzen, die sogenannte Asyl-Rücklage im Haushalt zu schonen und stattdessen für das Jahr 2025 zu nutzen. Anfang 2024 hatte der Bund dort über zehn Milliarden Euro gehortet.

Zudem gibt es im Haushalt immer Posten, deren Verbuchung Gestaltungsspielraum lässt. Wie der "Spiegel" berichtete, werden die Zinskosten für 2025 im Finanzministerium nun um bis zu sechs Milliarden Euro geringer veranschlagt. Mittlerweile hätten Scholz, Habeck und Lindner die Lücke von 25 Milliarden Euro plus Ministerienwünsche auf unter zehn Milliarden Euro verringert.

(Redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).

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