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25.06.2024 /12:00:00
HINTERGRUND-Präsidentenwahl im Iran in schwieriger Gemengelange

(aktualisiert)
- von Sabine Ehrhardt
Berlin, 25. Jun (Reuters) - Die Präsidentenwahl im Iran
am Freitag findet in einem äußerst brisanten politischen und
wirtschaftlichen Umfeld statt. Die Islamische Republik gewinnt
immer größere Bedeutung über die Golf-Region hinaus und mischt
in etlichen Konflikten mit. Doch in der eigenen Bevölkerung
wächst die Unzufriedenheit. Vor eineinhalb Jahren gab es die
größten Proteste gegen die Führung seit der Islamischen
Revolution 1979. Präsident Ebrahim Raisi, ein erzkonservativer
Geistlicher und ehemaliger Justiz-Chef, griff damals überaus
hart durch. Er galt zudem als möglicher Nachfolger des greisen
Ajatollah Ali Chamenei, des geistlichen und politischen
Oberhauptes des Irans. Raisis Tod - er verunglückte am 19. Mai
bei einem Hubschrauber-Absturz - sorgt für Turbulenzen. Wer
neuer Präsident wird, könnte auch Nachfolger des Obersten
Führers Chamenei werden, der letztlich im Iran das Sagen hat. Im
Folgenden die wichtigsten Themenkomplexe:
IRANS VERHÄLTNIS ZU ISRAEL UND DEN PALÄSTINENSERN

Der Iran gilt als Erzfeind Israels. Er erkennt Israel nicht als legitimen Staat an und steht an der Seite der Palästinenser. Im Krieg im Gazastreifen unterstützt die Führung in Teheran die radikale Hamas, die zusammen mit der libanesischen Hisbollah-Miliz dem vom Iran geführten Netzwerk "Achse des Widerstandes" angehört.

Der viele Jahrzehnte alte Konflikt zwischen Israel und dem Iran eskalierte vor einigen Wochen. Am 1. April wurden bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf das Gelände der iranischen Botschaft in Damaskus sieben Offiziere der Revolutionsgarde getötet. Zwei Wochen später griff der Iran als Vergeltung erstmals direkt israelisches Territorium an. Danach waren beide Seiten allerdings um eine Deeskalation bemüht.

IRAN UND SAUDI-ARABIEN

Die beiden Staaten prägt eine jahrzehntelange Feindschaft und Rivalität. Der Iran versteht sich als Schutzmacht der Schiiten, Saudi-Arabien als die der Sunniten - die zwei Konfessionsgruppen sind die Hauptzweige des Islams. Die beiden großen Ölproduzenten unterstützen in den großen Konflikten in der Region zudem verfeindete Gruppierungen. Die Beziehungen zwischen den beiden Regionalmächten erreichten mit der Hinrichtung eines prominenten schiitischen Predigers und Regimekritikers in Saudi-Arabien Anfang 2016 einen Tiefpunkt. In jüngerer Zeit haben sie sich angenähert. 2021 begannen inoffizielle Gespräche. Im Frühjahr 2023 gaben beide Seiten bekannt, sie wollten ihre Beziehungen normalisieren - und das zu einem Zeitpunkt, da auch Israel und Saudi-Arabien sich um Entspannung bemühten.

Die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien dürfte mit Beginn des Gaza-Krieges zumindest auf Eis liegen - eine Normalisierung der Beziehung steht und fällt mit einer Lösung für den Gazastreifen und die Palästinenser. Saudi-Arabien fordert einen unabhängigen Staat Palästina, die weit rechts stehende Regierung in Israel lehnt dies ab. Dass beide Staaten sich nicht weiter annähern, spielt dem Iran in die Karten.

BÜRGERKRIEG IN SYRIEN

Im 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg in Syrien steht der Iran an der Seite von Präsident Baschar al-Assad, der in Russland einen weiteren wichtigen Verbündeten hat. Die Führung in Teheran unterstützt die libanesische Hisbollah-Miliz, die mit Assads Truppen gegen die Rebellen kämpft. Der Iran steht hinter den Schiiten, die in Syrien eine Minderheit sind. Die anderen Golf-Staaten, allen voran Saudi-Arabien, helfen sunnitischen Rebellen finanziell und mit Waffen. Einen Waffenstillstand gibt es nicht - in den vergangenen Monaten nahmen die Kämpfe wieder zu.

Syrien ist eine wichtige Transitroute für iranische Stellvertreter zwischen dem Irak und dem Libanon. In Syrien halten sich militärische Berater des Irans auf. Dort wurden von Israel wiederholt Ziele angegriffen, die in Verbindung mit dem Iran gebracht werden.

BÜRGERKRIEG IM JEMEN

Im Jemen führen der Iran und Saudi-Arabien seit etwa zehn Jahren einen Stellvertreterkrieg. Die vom Iran unterstützte schiitische Huthi-Miliz eroberte 2014 weite Teile des Landes und kämpfte gegen von Saudi-Arabien unterstützten Regierungstruppen. Die Huthis haben sich zudem solidarisch mit der Hamas im Gaza-Krieg erklärt und feuern Raketen auf Israel sowie auf Handelsschiffe und Öltanker im Roten Meer, die sie in Verbindung mit Israel bringen. Die USA und Großbritannien haben deswegen Huthi-Ziele im Jemen angegriffen.

Der Iran stellt der Huthi-Miliz seegestützte ballistische Raketen vom Typ Ghadr zur Verfügung. "Jetzt ist die Rakete ... zu einer Waffe geworden, die die Interessen der Vereinigten Staaten und ihres wichtigsten Verbündeten in der Region, des zionistischen Regimes, ernsthaft gefährden kann", meldete die Nachrichtenagentur Tasnim Ende Mai. Mit "zionistischem Regime" wird im Iran gewöhnlich Israel tituliert.

IRAN UND RUSSLAND

Die beiden Länder arbeiten seit Jahren eng zusammen, etwa bei der Unterstützung des syrischen Präsidenten Assad. Russland erhält aber auch iranische Schahed-Drohnen, die es in seinem Krieg gegen die Ukraine einsetzt.

Der Iran und Russland haben bereits mehrfach gemeinsame Marinemanöver abgehalten, darunter im Golf von Oman, der an das Rote Meer grenzt. Dritter im Bunde war China, das Öl aus dem Iran bezieht. Solche Manöver sind Teil einer zunehmend engeren Vernetzung der drei autokratisch geführten Staaten, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Russlands Ukraine-Invasion und den Huthi-Angriffen im Roten Meer mit Sorge beobachtet wird.

IRAN UND USA

Die USA und den Iran verbindet eine turbulente Geschichte. Jahrzehntelang unterstützten die USA Schah Reza Pahlavi, der 1941 an die Macht kam und für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wurde. 1979 wurde der Schah im Zuge der Islamischen Revolution gestürzt und floh in die USA. Im November 1979 besetzten Studenten die US-Botschaft in Teheran, um seine Auslieferung zu erzwingen. Im April 1980 scheiterte ein Versuch des US-Militärs, die 52 Geiseln zu befreien. Sie durften Anfang 1981 gehen, die USA gaben im Gegenzug iranisches Vermögen frei.

Massenkundgebungen gegen die USA sind im Iran recht häufig. Mit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump 2017 hat sich das Verhältnis der beiden Staaten nochmal verschlechtert, auch weil er das Atomabkommen von 2015 aufgekündigt hat, durch das Sanktionen gegen den Iran gelockert werden sollten. Unter Trumps Nachfolger Joe Biden wurde das Abkommen nicht wiederbelebt, das den Iran von Atomwaffen abhalten soll.

"FRAU - LEBEN - FREIHEIT"

Zu Massenprotesten gegen die islamische Führung kam es nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022. Die 22-Jährige aus der Provinz Kurdistan war in Teheran von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch falsch getragen und damit gegen das Bekleidungsgesetz verstoßen und sich "unislamisch" gekleidet haben soll. Sie wurde geschlagen und kam in Gewahrsam ums Leben. Monatelang gingen darauf im ganzen Land Abertausende Menschen auf die Straße, allen voran zahllose Frauen. "Frau - Leben - Freiheit", lautete ihr Motto. Sie protestierten gegen die autoritäre Führung, die Herrschaft der Geistlichen und die strikte Auslegung der islamischen Kleiderordnung. Viele Menschen machten auch ihrem Unmut über die Wirtschaftskrise Luft.

Es waren die längsten und größten Proteste seit der Islamischen Revolution 1979. Sicherheitskräfte schlugen die Kundgebungen mit äußerster Brutalität nieder. Menschenrechtsgruppen zufolge wurden mehr als 500 Menschen getötet, darunter 71 Minderjährige. Hunderte Menschen wurden verletzt, Tausende festgenommen. Viele Menschen wurden in Haft gefoltert, vergewaltigt, misshandelt. Etliche Menschen wurden zum Tode verurteilt, sieben wurden bereits hingerichtet.

WIRTSCHAFTLICHE LAGE

Die wirtschaftliche Lage des Iran nährt die Unzufriedenheit in großen Teilen der Bevölkerung. Bei ihr warb der damalige iranische Präsident Hassan Ruhani vor etwa zehn Jahren für das 2015 geschlossene Atomabkommen mit dem Versprechen, die Wirtschaft werde nach Ende der Sanktionen einen Aufschwung erleben. Nach der jahrzehntelangen Isolierung standen dringende Investitionen in Infrastruktur und Ölindustrie an. Zahlreiche internationale Konzerne witterten gute Geschäfte. Doch die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt - weder für Unternehmen noch für die Bevölkerung. Zu viele Rahmenbedingungen wie rechtliche Vorgaben blieben unklar. Die größte Hürde für die Unternehmen ist die Weigerung vieler Banken, Geschäfte mit dem Iran zu finanzieren. Die Geldhäuser fürchten, dass die wieder verhängten US-Sanktionen auch die treffen.

Insgesamt wächst die iranische Wirtschaft zwar. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für 2024 mit einem Anstieg von 3,3 Prozent. Doch das Wachstum schwächt such ab: Laut IWF betrug das Plus im vergangenen Jahr noch 4,7 Prozent. Zudem leidet das Land unter einer hohen Inflation, die nach Angaben des IWF in diesem Jahr bei 37,5 Prozent liegen dürfte. Die Arbeitslosenquote beträgt dem IWF zufolge 8,9 Prozent - etwa so viel wie im vergangenen Jahr.

Die 2018 reaktivierten US-Sanktionen und die starke Zurückhaltung von Unternehmen aus anderen westlichen Staaten gegenüber dem Iran bremsen die wirtschaftliche Entwicklung.

ÖL

Wichtigster Wachstumsmotor ist die Ölindustrie. Von Juli bis einschließlich Dezember 2023 förderte der Iran laut dem Exportkartell Opec durchschnittlich 3,1 Millionen Barrel pro Tag. Dem iranischen Ölministerium zufolge stieg die Ölproduktion im Oktober 2023 auf 3,4 Millionen Barrel pro Tag, die Opec schätzt immerhin 3,1 Millionen Barrel pro Tag.

Ende Mai stimmte die iranische Führung einem Plan zur Steigerung der Ölproduktion zu, wie die Agentur Tasnim berichtete. "Ein Wirtschaftsrat unter Vorsitz des iranischen Interimspräsidenten Mohammed Mochber hat einem Plan zur Steigerung der Ölproduktion des Landes von 3,6 Millionen Barrel pro Tag auf vier Millionen Barrel pro Tag zugestimmt." Ein Zeitrahmen wurde allerdings nicht genannt. Iranisches Öl wird vor allem von China und Indien gekauft.

(redigiert von Christian Götz, Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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