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22.10.2024 /12:42:40
FOKUS 1-Scholz fordert wegen Wachstumsschwäche Schulterschluss von Politik und Wirtschaft

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Kanzler verspricht Arbeitgebern weitere Reformen

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BDA-Präsident: Wachstumspaket muss schnell kommen

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Habeck räumt Waschtumsschwäche ein
 
(Durchgehend neu, mit Habeck, Dulger)
Berlin, 22. Okt (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz
hat die deutsche Wirtschaft zum Schulterschluss mit der Politik
aufgerufen und Unternehmen entschiedenere Reformen zugesagt.
"Wir müssen gemeinsam rauskommen aus dieser unguten Lage, in der
schlechte Zahlen zu schlechter Stimmung führen ? und schlechte
Stimmung zu noch mehr schlechten Zahlen", sagte Scholz am
Dienstag auf dem Deutschen Arbeitgebertag in Berlin mit Blick
auf die lahmende Konjunktur. "Wir brauchen mehr Wachstum",
betonte er und verwies auch auf den von ihm vorgeschlagenen Pakt
für Industriearbeitsplätze. Nach Reuters-Informationen sind
Industrieverbände und Gewerkschaften nun am 29. Oktober ins
Kanzleramt eingeladen.

Scholz kündigte die Korrektur des nationalen Lieferkettensorgfaltsgesetzes noch bis Jahresende und einen entschiedenen Bürokratieabbau an. BDA-Präsident Rainer Dulger lobte, dass die Ampel-Regierung mittlerweile die Probleme der Wirtschaft besser erkenne, forderte aber entschiedenere Reformschritte. So müsse etwa die 49-Punkte-Wachstumsinitiative der Bundesregierung schnell umgesetzt werden.

Wirtschaftsminister Robert Habeck räumte ein, dass die Konjunkturaussichten "alles andere als zufriedenstellend" seien. Zugleich verteidigte der Grünen-Politiker die von Dulger zuvor kritisierte Subventionspolitik der Bundesregierung. Sie habe das Ziel, vor allem die energieintensive Industrie hierzulande zu unterstützen, klimaneutral zu produzieren: "Ich will den energieintensiven Mittelstand in Deutschland halten", betonte Habeck. Eine Abkehr von Subventionen für Einzelunternehmen und ein Übergang zu praktisch wirkungsgleichen Steuerabschreibungsbedingungen hätte aus Sicht des Ministers einen gravierenden Haken: "Der Haushalt wäre Ende des Jahres nicht mehr ausgeglichen. Das ist die logische Konsequenz."

KANZLER FORDERT ANDEREN EU-KURS

Scholz erhob beim Arbeitgebertag schwere Vorwürfe gegen die EU-Kommission, von der mittlerweile der Großteil der Regulierung komme. In der EU brauche man "endlich Bürokratieabbau und zwar in großem Umfang", sagte der Kanzler. Es sei zwar richtig, wenn die EU dafür sorge, dass auf dem EU-Binnenmarkt gemeinsame Regeln gelten. "Aber da sind Dinge rausgekommen, wo man sich auch nur wundert", kritisierte er. Als Beispiel nannte er 1500 Berichtspunkte beim Thema Nachhaltigkeit, die die EU vorgebe. "Da sind irgendwie die Gäule durchgegangen", fügte Scholz hinzu. Die Bundesregierung versuche an sehr vielen Stellen, Bürokratie abzubauen. Er sagte zu, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr das umstrittene Lieferkettensorgfaltsgesetz anpacke.

Scholz kritisierte zudem einen zunehmenden Protektionismus. "Wir brauchen mehr Handelsverträge und weniger Zölle", sagte er auch in Anspielung auf den Streit mit der EU-Kommission über die Verhängung von Strafzöllen gegen China. Drittens habe die EU-Kommission als eine große Aufgabe ihrer neuen Legislaturperiode die Vollendung der Kapitalmarktunion. "Das ist unser größtes Wachstumsproblem, das wir überhaupt haben", sagte Scholz.

STREITPUNKTE BÜRGERGELD UND MINDESTLOHN

Scholz forderte wegen des demografischen Wandels eine konsequente Zuwanderung von Arbeitskräften. Fast alle europäischen Länder würden in den kommenden Jahren schrumpfen. "Deutschland kann das eine nicht englisch-sprechende Land sein, das zu verhindern", betonte der Kanzler mit Blick auf das Zuwanderungsgesetz. Weil die Lohnnebenkosten derzeit steigen statt sinken, müssten zudem die sozialen Sicherungssysteme "effizienter" werden, kündigte Scholz zudem an. Damit begründete er auch die umstrittene Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

BDA-Präsident Dulger bezeichnete Deutschland weiterhin als "starkes Land". Allerdings seien vor allem die deutschen Unternehmen wettbewerbsfähig, nur der Standort Deutschland sei es teilweise nicht mehr. "Ein schwacher Standort ist nicht attraktiv für Investitionen", warnte Dulger. Er sei aber überzeugt davon, dass eine gute Standortpolitik "den wirtschaftlichen Riesen Deutschland wieder entfesseln" könne. "Die Wachstumsinitiative der Bundesregierung ist sicher keine Mondlandung, aber besser als nichts", fügte er hinzu. Allerdings gilt eine Zustimmung des Bundesrats wegen der finanziellen Belastung für die Länder als unsicher.

Erneut kritisierte Dulger das von der Bundesregierung beschlossene Bürgergeld und das Rentenpaket 2. Der BDA-Präsident warnte die SPD zudem davor, den Mindestlohn politisch festsetzen zu wollen. Kanzler Scholz betonte mit Blick auf das Bürgergeld, dass auch die Bundesregierung die Anstrengungen erhöhe, Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

(Bericht von Andreas Rinke, Reinhard Becker; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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