01. Nov (Reuters) - Am Freitag ist ein 18-seitigen Grundsatzpapier von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner bekannt geworden, das den Titel "Wirtschaftswende Deutschland - Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit" trägt. Enthalten sind in dem Reuters vorliegenden Papier eine Fülle von Vorschlägen und eine grundsätzliche Kritik an der eigenen Ampel-Regierung mit SPD und Grünen. Einige der Vorschläge zielen erkennbar auf die Haushaltsverhandlungen im Bundestag bis Mitte November. Andere Punkte wären erst in den kommenden Jahren umsetzbar. Eine Übersicht über die wichtigsten Punkte:
Lindner pocht auf weitere Einsparungen im Haushalt 2025 und wendet sich gegen eine Politik, die Ausnahmen von der Schuldenbremse zulässt oder hohe Industriesubventionen zahlt. Der Finanzminister lehnt auch die Einrichtung großer neuer Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigungen ab - und steckt damit den von ihm gesetzten engen Rahmen für die Etatverhandlungen eng ab.
In den kommenden drei Jahren - also über die 2025 endende Legislaturperiode hinaus - soll nach Lindners Vorstellungen ein striktes Moratorium gelten, bei dem es entweder keine neuen Gesetze geben soll oder zumindest sichergestellt wird, dass die Bürokratielasten nicht zunehmen. Lindner nennt ausdrücklich das Tariftreuegesetz, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die arbeitgeberfinanzierte Familienstartzeit als Problem. Auf EU-Ebene sollte die Bundesregierung helfen, Berichts- und Nachweispflichten aus dem "Green Deal" abzubauen und neue zu verhindern.
Lindner will bereits 2025 den Einstieg in die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags und die Senkung der Körperschaftssteuer. "Als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt wird, entfallen", heißt es in dem Papier. In einem ersten Schritt sollte der Soli 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf drei Prozent gesenkt werden und 2027 entfallen. Dies würde im kommenden Jahr 4,5 Milliarden Euro kosten. Parallel sollte die Körperschaftssteuer 2025 um zwei Prozentpunkte reduziert und 2027 und 2029 in weiteren Schritten gesenkt werden. Den Haushalt 2025 würde dies laut Papier mit 3,5 Milliarden Euro belasten.
Lindner möchte zudem die Abmilderung der sogenannten kalten Progression in der Einkommenssteuer nach 2026 verstetigen ("Tarif auf Rädern"). Eine Abmilderung der kalten Progression führt dazu, dass inflationsbedingte Einkommenssteigerungen nicht zwangsläufig zu höheren Steuerzahlungen führen. Außerdem fordert er die Anhebung der Grund- und Kinderfreibeträge sowie des Kindergelds über das verfassungsrechtlich notwendige Maß hinaus - was im kommenden Jahr 2,8 Milliarden Euro kosten würde. Die Unternehmenssteuern sollten mittelfristig auf 25 Prozent sinken.
Politischer Sprengstoff in der Koalition mit den Grünen ist die Forderung, den ambitionierteren deutschen Sonderweg in der Klimapolitik zu beenden. Klimaneutralität solle nicht mehr 2045, sondern wie in der EU 2050 anvisiert werden. Dann könnten auch im Gebäudeenergiegesetz die Ziele um fünf Jahre nach hinten verschoben werden, wann Heizungen vollständig klimaneutral sein müssen. "Klimapolitisch motivierte Dauersubventionen" sollten ebenso wie der Klima- und Transformationsfonds (KTF) abgeschafft werden. Die Vergütung für Erneuerbare Energien sollte in den nächsten Jahren auf Null gesenkt werden. Lindner plädiert für den Einsatz der CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) zur Speicherung von CO2 sowie den Ausbau der heimischen Erdgasförderung - auch mit Fracking-Verfahren.
Lindner erneuert seine Kritik am Bürgergeld: Man müsse den Zustand abschaffen, dass das Zusammenspiel staatlicher Leistungen dazu führe, dass die Aufnahme oder die Ausweitung von Arbeit nicht mehr lohne. "Individuelle Schlechterstellungen gegenüber dem Status Quo sind dabei unvermeidlich, aber im Sinne von Aktivierung und Anreizorientierung auch zu begrüßen", heißt es. Das von Lindner mitbeschlossene Rentenpaket 2 wird nicht infrage gestellt. Es wird aber vor steigenden Kosten für Jüngere für die Kosten der Alterung der Gesellschaft gewarnt.
Die Mindereinnahmen nach der Steuerschätzung beziffert Lindner auf 13,5 Milliarden Euro. Neue Belastungen sieht er unter anderem - neben seinen steuerlichen Vorschlägen - durch höhere Ausgaben für Bürgergeld und Kosten der Unterkunft in Höhe von 3,6 Milliarden Euro. Deshalb müsse im "Zukunftshaushalt" 2025 stärker gespart werden, damit der Etat Teil der Wirtschaftswende werde. Allerdings listet er in dem Papier auch zusätzliche Einnahmen auf. Dazu gehören unter anderem Einsparungen durch einen flexiben Renteneintritt in Höhe von 4,5 Milliarden Euro, die Abschaffung klimapolitischer Ausgaben im Klima- und Transformationsfonds (KTF) in Höhe von vier Milliarden Euro und die von ihm vorgeschlagene Streichung der geplanten Subventionen für die Intel <INTC.O>-Chip-Fabrik, die in dem Papier für 2025 mit zehn Milliarden Euro angegeben wird. Zudem kann die sogenannte Konjunkturkomponente nach der Steuerschätzung um 4,9 Milliarden Euro nach oben geschraubt werden. "Alle weiteren in Einzelplänen aufkommenden Mehrbedarfe sind dort gegen zu finanzieren", heißt es in dem Papier.
(Zusammengestellt von Andreas Rinke; redigiert von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)