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Deutschland bleibt im Kreis großer Industrieländer abgeschlagen
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IWF erwartet 2024 Stagnation, 2025 Wachstum von 0,8 Prozent
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Kanzler verspricht in Berlin entschiedene Reformen |
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Forsa-Umfrage: Unternehmer sehr unzufrieden mit Standort |
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Wachstumstreiber für Weltwirtschaft Indien, China und USA |
(neu: weitere Details, Stimmen vom Arbeitgebertag in Berlin) |
Berlin/Washington, 22. Okt (Reuters) - Die Aussichten |
für die deutsche Wirtschaft haben sich deutlich eingetrübt. Der |
Internationale Währungsfonds traut Deutschland dieses Jahr nur |
noch eine Stagnation zu, 2025 dann ein überschaubares Wachstum |
von 0,8 Prozent, wie die Finanzorganisation am Dienstag in |
Washington mitteilte. Die bisherigen Prognosen aus dem Juli |
wurden damit um 0,2 beziehungsweise um 0,5 Prozentpunkte |
gesenkt. Der IWF verwies auf die anhaltende Schwäche der |
Industrie, Folgen der finanziellen Konsolidierung und Probleme |
auf dem Immobilienmarkt. Alle anderen großen Industrienationen |
schlagen sich derzeit besser als Deutschland. |
Einer Forsa-Umfrage für den Arbeitgeberverband BDA zufolge bewerten 52 Prozent der Unternehmer den Standort Deutschland derzeit als "nicht gut". 29 Prozent halten ihn sogar für "schlecht". Die überbordende Bürokratie, hohe Energiekosten und fehlende Fachkräfte gelten als Hauptgründe dafür. Kanzler Olaf Scholz rief die Wirtschaft beim Arbeitgebertag in Berlin zum Schulterschluss mit der Politik auf und versprach entschiedene Reformen.
"Wir brauchen mehr Wachstum", sagte Scholz. Der |
SPD-Politiker verwies auf seinen Vorschlag für einen Pakt für |
Industriearbeitsplätze. Nach Reuters-Informationen sind |
Industrieverbände und Gewerkschaften am 29. Oktober dazu ins |
Kanzleramt eingeladen. Scholz kündigte auch eine Korrektur des |
nationalen Lieferkettensorgfaltsgesetzes noch bis Jahresende an |
und sagte einen entschiedenen Bürokratieabbau zu. |
Wirtschaftsminister Robert Habeck räumte ein, dass die |
Konjunkturaussichten "alles andere als zufriedenstellend" seien. |
Zugleich verteidigte der Grünen-Politiker die von den |
Arbeitgebern kritisierte Subventionspolitik der Bundesregierung. |
Sie habe das Ziel, vor allem die energieintensive Industrie |
hierzulande zu unterstützen, klimaneutral zu produzieren: "Ich |
will den energieintensiven Mittelstand in Deutschland halten." |
Am Donnerstag wird das Ergebnis der neuesten |
Steuerschätzung erwartet. Die Prognose ist die Grundlage für die |
Haushaltsplanung der öffentlichen Hand und hat damit auch |
Bedeutung für den Streit in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen |
und FDP über den Etat für 2025. |
INDIEN WÄCHST WIE VERRÜCKT |
Wachstumstreiber für die Weltwirtschaft sind weiterhin |
Indien, China und die USA. Insgesamt rechnet der IWF 2024 und |
2025 mit einem globalen Wachstum von jeweils 3,2 Prozent. Das |
entspricht in etwa den bisherigen Erwartungen. Die Aussichten |
für die USA sind kurz vor der Präsidentenwahl Anfang November |
besser als bisher erwartet, getragen vom Konsum nach den |
jüngsten Reallohnsteigerungen. Die Euro-Zone wird dagegen |
schlechter eingeschätzt, was vor allem, aber nicht nur an |
Deutschland liegt. |
Indien dürfte wie bisher erwartet dieses Jahr um 7,0 Prozent wachsen, 2025 dann um 6,5 Prozent. Diese Woche treffen sich hochrangige Vertreter der deutschen Wirtschaft in Neu-Delhi zur Asien-Pazifik-Konferenz, um Geschäftschancen in der Region auszuloten. Indien gilt als Schlüssel, um die starke Abhängigkeit der deutschen Industrie von China zu reduzieren. Für die Volksrepublik rechnet der IWF mit Wachstumsraten von 4,8 und 4,5 Prozent in den Jahren 2024 und 2025.
Größtes Problem für die Weltwirtschaft war zuletzt die hohe Inflation. Hier zeichnet sich eine spürbare Entspannung ab, allerdings nicht überall. "Es sieht so aus, als wäre der globale Kampf gegen die Inflation weitgehend gewonnen", sagte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas. Der Höhepunkt sei im dritten Quartal 2022 mit 9,4 Prozent erreicht worden. Ende nächsten Jahres sollten es 3,5 Prozent sein. Die Teuerung würde damit leicht unter dem Schnitt in den 20 Jahren vor der Corona-Pandemie liegen. Das eröffne Spielräume für Zinssenkungen. In Industriestaaten sei das Bild besser als in Schwellenländern. Außerdem seien die Preise für Dienstleistungen fast doppelt so hoch wie vor der Corona-Krise.
Als Risiken nannte der IWF geopolitische Konflikte wie in der Ukraine und im Nahen Osten. Die Unsicherheit sei weiter hoch. "Es ist jetzt die Zeit, die Schuldendynamik zu stabilisieren und wieder finanzielle Puffer aufzubauen", so Gourinchas.
Der IWF teilte zudem mit, kurzfristig gebe es keine |
übermäßigen Risiken für die Finanzstabilität. Die hohe |
Staatsverschuldung in vielen Ländern bleibe aber ein Problem. |
Bei der IWF-Herbsttagung in Washington geht es neben diesem |
Thema auch um die Finanzierung der Ukraine. Details könnte es |
dabei zum geplanten 50-Milliarden-Dollar-Kredit geben. |
(Bericht von Christian Krämer, Andreas Rinke und Reinhard Becker, redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)