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22.10.2024 /16:38:36
TOP-THEMA-IWF kürzt Konjunkturprognosen für Deutschland - Weltwirtschaft kraftlos

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Deutschland bleibt im Kreis großer Industrieländer abgeschlagen



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IWF erwartet 2024 Stagnation, 2025 Wachstum von 0,8 Prozent



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Kanzler verspricht in Berlin entschiedene Reformen

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Forsa-Umfrage: Unternehmer sehr unzufrieden mit Standort

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Wachstumstreiber für Weltwirtschaft Indien, China und USA
 
(neu: weitere Details, Stimmen vom Arbeitgebertag in Berlin)
Berlin/Washington, 22. Okt (Reuters) - Die Aussichten
für die deutsche Wirtschaft haben sich deutlich eingetrübt. Der
Internationale Währungsfonds traut Deutschland dieses Jahr nur
noch eine Stagnation zu, 2025 dann ein überschaubares Wachstum
von 0,8 Prozent, wie die Finanzorganisation am Dienstag in
Washington mitteilte. Die bisherigen Prognosen aus dem Juli
wurden damit um 0,2 beziehungsweise um 0,5 Prozentpunkte
gesenkt. Der IWF verwies auf die anhaltende Schwäche der
Industrie, Folgen der finanziellen Konsolidierung und Probleme
auf dem Immobilienmarkt. Alle anderen großen Industrienationen
schlagen sich derzeit besser als Deutschland.

Einer Forsa-Umfrage für den Arbeitgeberverband BDA zufolge bewerten 52 Prozent der Unternehmer den Standort Deutschland derzeit als "nicht gut". 29 Prozent halten ihn sogar für "schlecht". Die überbordende Bürokratie, hohe Energiekosten und fehlende Fachkräfte gelten als Hauptgründe dafür. Kanzler Olaf Scholz rief die Wirtschaft beim Arbeitgebertag in Berlin zum Schulterschluss mit der Politik auf und versprach entschiedene Reformen.

"Wir brauchen mehr Wachstum", sagte Scholz. Der
SPD-Politiker verwies auf seinen Vorschlag für einen Pakt für
Industriearbeitsplätze. Nach Reuters-Informationen sind
Industrieverbände und Gewerkschaften am 29. Oktober dazu ins
Kanzleramt eingeladen. Scholz kündigte auch eine Korrektur des
nationalen Lieferkettensorgfaltsgesetzes noch bis Jahresende an
und sagte einen entschiedenen Bürokratieabbau zu.
 
Wirtschaftsminister Robert Habeck räumte ein, dass die
Konjunkturaussichten "alles andere als zufriedenstellend" seien.
Zugleich verteidigte der Grünen-Politiker die von den
Arbeitgebern kritisierte Subventionspolitik der Bundesregierung.
Sie habe das Ziel, vor allem die energieintensive Industrie
hierzulande zu unterstützen, klimaneutral zu produzieren: "Ich
will den energieintensiven Mittelstand in Deutschland halten."
 
Am Donnerstag wird das Ergebnis der neuesten
Steuerschätzung erwartet. Die Prognose ist die Grundlage für die
Haushaltsplanung der öffentlichen Hand und hat damit auch
Bedeutung für den Streit in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen
und FDP über den Etat für 2025.
 
INDIEN WÄCHST WIE VERRÜCKT
 
Wachstumstreiber für die Weltwirtschaft sind weiterhin
Indien, China und die USA. Insgesamt rechnet der IWF 2024 und
2025 mit einem globalen Wachstum von jeweils 3,2 Prozent. Das
entspricht in etwa den bisherigen Erwartungen. Die Aussichten
für die USA sind kurz vor der Präsidentenwahl Anfang November
besser als bisher erwartet, getragen vom Konsum nach den
jüngsten Reallohnsteigerungen. Die Euro-Zone wird dagegen
schlechter eingeschätzt, was vor allem, aber nicht nur an
Deutschland liegt.

Indien dürfte wie bisher erwartet dieses Jahr um 7,0 Prozent wachsen, 2025 dann um 6,5 Prozent. Diese Woche treffen sich hochrangige Vertreter der deutschen Wirtschaft in Neu-Delhi zur Asien-Pazifik-Konferenz, um Geschäftschancen in der Region auszuloten. Indien gilt als Schlüssel, um die starke Abhängigkeit der deutschen Industrie von China zu reduzieren. Für die Volksrepublik rechnet der IWF mit Wachstumsraten von 4,8 und 4,5 Prozent in den Jahren 2024 und 2025.

INFLATION ENTSPANNT SICH - AM STÄRKSTEN IN INDUSTRIELÄNDERN

Größtes Problem für die Weltwirtschaft war zuletzt die hohe Inflation. Hier zeichnet sich eine spürbare Entspannung ab, allerdings nicht überall. "Es sieht so aus, als wäre der globale Kampf gegen die Inflation weitgehend gewonnen", sagte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas. Der Höhepunkt sei im dritten Quartal 2022 mit 9,4 Prozent erreicht worden. Ende nächsten Jahres sollten es 3,5 Prozent sein. Die Teuerung würde damit leicht unter dem Schnitt in den 20 Jahren vor der Corona-Pandemie liegen. Das eröffne Spielräume für Zinssenkungen. In Industriestaaten sei das Bild besser als in Schwellenländern. Außerdem seien die Preise für Dienstleistungen fast doppelt so hoch wie vor der Corona-Krise.

Als Risiken nannte der IWF geopolitische Konflikte wie in der Ukraine und im Nahen Osten. Die Unsicherheit sei weiter hoch. "Es ist jetzt die Zeit, die Schuldendynamik zu stabilisieren und wieder finanzielle Puffer aufzubauen", so Gourinchas.

Der IWF teilte zudem mit, kurzfristig gebe es keine
übermäßigen Risiken für die Finanzstabilität. Die hohe
Staatsverschuldung in vielen Ländern bleibe aber ein Problem.
Bei der IWF-Herbsttagung in Washington geht es neben diesem
Thema auch um die Finanzierung der Ukraine. Details könnte es
dabei zum geplanten 50-Milliarden-Dollar-Kredit geben.

(Bericht von Christian Krämer, Andreas Rinke und Reinhard Becker, redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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