Wien, 24. Okt (Reuters) - In Österreich ist erstmals ein Politiker der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei (FPÖ) zum Präsidenten des Nationalrates gewählt worden. Nachdem die FPÖ vor gut drei Wochen als Sieger aus der Parlamentswahl hervorgegangen war, stimmten die Abgeordneten mehrheitlich für den bisherigen Volksanwalt Walter Rosenkranz. Das ergab die geheim abgehaltene Abstimmung unter den 183 Abgeordneten bei der konstituierenden Sitzung des Nationalrates am Donnerstag.
Traditionell stellte immer die stärkste Partei im Parlament den Präsidenten. Bisher hatten den Posten stets Kandidaten und Kandidatinnen der konservativen Volkspartei (ÖVP) oder der sozialdemokratischen SPÖ inne. Die Wahl galt bislang als reine Formsache, doch nachdem die FPÖ bei der Parlamentswahl Ende September erstmals stärkste Kraft wurde, kam Kritik auf. Bis zur Abstimmung war unklar geblieben, ob der FPÖ-Kandidat die notwendige Mehrheit erreichen würde.
Rosenkranz bekleidet nun nach dem Bundespräsidenten das zweithöchste Amt im Staat. Bei der Regierungsbildung spielt die FPÖ hingegen zunächst keine Rolle, da keine andere Partei bereit ist, mit ihr zu koalieren. Bundespräsident Alexander Van der Bellen beauftragte daher die ÖVP unter dem amtierenden Kanzler Karl Nehammer mit der Regierungsbildung. Am Freitag starten Sondierungsgespräche mit der SPÖ, in deren Verlauf ein dritter Koalitionspartner einbezogen werden soll. In Frage kommen dafür die liberalen Neos oder die Grünen, was zu einer erstmaligen "Dreier"-Koalition in Österreich führen könnte.
Die Grünen versuchten Rosenkranz als Parlamentspräsident zu verhindern und starteten eine Petition unter dem Motto: "Keine Rechtsextremen an der Spitze des Nationalrats". Auch die Israelitische Kultusgemeinde Wien warnte davor, Rosenkranz dieses Amt zu überlassen. Sie kritisierte seine Nähe zu deutschnationalen Verbindungen und warf ihm vor, Nazi-Verbrechen zu verharmlosen.
Der Parlamentspräsident wird für fünf Jahre gewählt und kann nicht abgesetzt werden. Er leitet die Geschäfte des Nationalrates und legt die Sitzungstermine fest. Damit könnte er theoretisch die Gesetzgebung verzögern, wenn er keine Sitzung einberuft. Er hat die Befugnis, Abgeordneten das Wort zu entziehen oder Ordnungsrufe zu erteilen. Darüber hinaus repräsentiert er das Parlament nach außen, pflegt Kontakte zu internationalen Amtskollegen und kann ausländische Gäste einladen. Er übernimmt auch die Vertretung des Bundespräsidenten, falls dieser länger als 20 Tage verhindert ist, abgesetzt wird oder verstirbt.
Rosenkranz verfügt über langjährige Erfahrung als Abgeordneter. Seit 2008 war er im Parlament und 2017 wurde er Klubobmann der FPÖ, bevor er 2019 zum Volksanwalt gewählt wurde. Der 62-Jährige steht unter anderem in der Kritik, weil er Mitglied der Burschenschaft Libertas ist. 2022 trat er als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten an, unterlag jedoch Van der Bellen.
(Bericht von Alexandra Schwarz-Goerlich Redigiert von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)