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22.10.2024 /17:34:55
FOKUS 2-Österreichs Bundespräsident beaufragt ÖVP mit Regierungsbildung

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ÖVP unter Kanzler Nehammer bekommt Auftrag zur Regierungsbildung



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Keine andere Partei will mit Wahlsieger FPÖ koalieren

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ÖVP soll nun Koalitionsverhandlungen mit SPÖ führen

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Nehammer: Dritter Partner für stabile Mehrheit nötig
 
(neu: Aussagen von ÖVP-Chef Nehammer)
- von Alexandra Schwarz-Goerlich
Wien, 22. Okt (Reuters) - In Österreich hat
Bundespräsident Alexander Van der Bellen der konservativen
Volkspartei (ÖVP) unter Führung von Karl Nehammer den Auftrag
zur Bildung einer Regierung erteilt. Der ÖVP-Chef und derzeit
amtierende Kanzler soll nun umgehend Verhandlungen mit der
sozialdemokratischen SPÖ aufnehmen, sagte Van der Bellen am
Dienstag in einer Ansprache in der Wiener Hofburg. Die
rechtspopulistische FPÖ war zwar bei der Nationalratswahl Ende
September erstmals stärkste Kraft geworden, doch keine Partei
ist bereit, mit ihr zu koalieren. Für eine Regierungsbildung
wird jedoch eine parlamentarische Mehrheit benötigt.

Der ÖVP-Chef kündigte an, Verhandlungen mit der SPÖ aufnehmen zu wollen. Für eine stabile parlamentarische Mehrheit werde jedoch ein dritter Partner benötigt, sagte Nehammer. Mit insgesamt 92 Mandaten verfügen ÖVP und SPÖ nur über eine äußerst knappe Mehrheit unter den 183 Abgeordneten im Parlament. Als Partner kämen die liberalen Neos und die Grünen infrage, die bisher Juniorpartner der ÖVP waren. "Ob diese Gespräche und Verhandlungen tatsächlich zu einer Regierungsbildung führen werden, kann ich Ihnen heute noch nicht sagen", so Nehammer.

Eines der zentralen Themen der bevorstehenden Gespräche
werde die Standortpolitik sein, kündigte der ÖVP-Chef an.
Angesichts der schwierigen Lage Österreichs müssten Maßnahmen
ergriffen werden, um die Wirtschaft und den Standort zu stärken.
Darüberhinaus sollen Maßnahmen in den Bereichen Migration,
Integration sowie im Gesundheits- und Pflegebereich umgesetzt
werden.
 
BUNDESPRÄSIDENT FÜR "NEUE LÖSUNGEN"
 
Dass die zweitplatzierte ÖVP bei der Regierungsbildung
zum Zugkommt, ist ungewöhnlich, wie das Staatsoberhaupt
einräumte. "Wenn eine Situation neu ist, braucht sie auch neue
Lösungen", so Van der Bellen. Bisher wurde stets die
stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragt.
Nach einer Bedenkzeit und zusätzlichen Gesprächen sei nun jedoch
unmissverständlich klar: "FPÖ-Chef Herbert Kickl findet keinen
Koalitionspartner, der ihn zum Bundeskanzler macht."

Die SPÖ, die Neos und die Grünen lehnen eine Zusammenarbeit mit der FPÖ grundsätzlich ab, während die ÖVP eine Koalition zumindest unter Führung von Kickl ausschließt. Kickl wiederum betonte, dass es die FPÖ nur mit ihm als Kanzler in einer Regierung geben würde. Als Gründe gegen eine Koalition mit der FPÖ nannte Van der Bellen unter anderem Bedenken hinsichtlich der liberalen Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Gewaltenteilung sowie eine unzureichende pro-europäische Haltung, die den Wirtschaftsstandort gefährden könnte. Weitere Vorbehalte umfassen die Nähe der FPÖ zu Russland, Sicherheitsbedenken ausländischer Geheimdienste, die eine Zusammenarbeit mit Österreich erheblich einschränken würden sowie ein rückwärtsgewandtes Frauenbild und die fehlende Abgrenzung gegenüber Rechtsextremismus.

Kurz nach dem Regierungsbildungsauftrag an die ÖVP meldete sich Kickl zu Wort: "Das mag für ganz viele von Euch wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Aber ich verspreche Euch: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Heute ist nicht aller Tage Abend", schrieb er auf Facebook.

Obwohl die Weichen für die Regierungsbildung nun
gestellt sind, dürften die Koalitionsverhandlungen schwierig
werden. Der Bundespräsident hat ÖVP und SPÖ zur
Kompromissbereitschaft aufgerufen. In verschiedenen
TV-Diskussionen vor der Wahl sei deutlich geworden, dass die
inhaltlichen Positionen zu zentralen Zukunftsfragen teils weit
auseinander lägen. Hier sei ein Aufeinanderzugehen und ein
gegenseitiges Verständnis notwendig, betonte Van der Bellen.
Österreich brauche nun tiefgreifende Reformen, die konsequent
umgesetzt werden müssten.

(Redigiert von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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