(durchgehend neu nach Pressekonferenz)
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Selenskyj und Merz: USA bieten Sicherheitsgarantien nach Artikel 5 Nato-Vertrag
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| Merz appelliert an Putin: Keine Angriffe über Weihnachten |
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| Eingefrorene russische Vermögen sollen genutzt werden |
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| Treffen der Europäer mit Selenskyj am Abend geplant |
| - von Andreas Rinke und Alexander Ratz |
| Berlin, 15. Dez (Reuters) - Kanzler Friedrich Merz und |
| der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj haben sich |
| überraschend positiv nach den Berliner Gesprächen mit den USA |
| über einen Waffenstillstand mit Russland geäußert. "Wir haben in |
| den vergangenen Tagen eine große diplomatische Dynamik, |
| vielleicht die größte seit dem Beginn des Krieges am 24. Februar |
| 2022, erlebt", sagte der Kanzler am Montag. Ein Waffenstillstand |
| sei nun vorstellbar. Selenskyj und er betonten, dass die |
| US-Regierung bereit gewesen sei, über Sicherheitsgarantien für |
| das Land zu sprechen, die ähnlich der Beistandsverpflichtung des |
| Artikels 5 im Nato-Vertrag seien. Beide forderten zudem den |
| Einsatz des in Europa eingefrorenen russischen Staatsvermögens |
| für die Ukraine. |
Die US-Unterhändler Steve Witkoff und Jared Kushner hatten zwei Tage lang im Kanzleramt miteinander verhandelt. Auch der außenpolitische Berater von Merz, Günther Sautter, war dabei anwesend. Zudem wurden die sicherheitspolitischen Berater der anderen großen EU-Staaten am Sonntagabend eingebunden. Merz hat für den Montagabend etliche europäische Staats- und Regierungschefs sowie die Spitzen von EU und Nato eingeladen. Dies soll eine Demonstration der Europäer sein, dass sie weiter an der Seite der Ukraine stehen. Auch Witkoff und Kushner sind dazu eingeladen. Am Abend soll nach Informationen von Reuters aus Teilnehmerkreisen auch US-Präsident Donald Trump kurz zugeschaltet werden.
Die zweitägigen Gespräche in Berlin sollen auch die Zweifel zerstreuen, dass die USA mit Russland über die Köpfe der Ukraine und der Europäer hinweg Absprachen zur Beendigung des Krieges treffen könnten. Merz dankte im Gegenzug ausdrücklich Trump, ohne den die neue Dynamik der Gespräche nicht möglich gewesen wäre.
Sowohl Selenskyj als auch Merz betonten, dass die Frage der Sicherheitsgarantien wichtig sei. "Wir werden die Fehler von Minsk genau an dieser Stelle nicht wiederholen", sagte der Kanzler in Anspielung auf das 2015 geschlossene Minsker Abkommen, das damals weitere russische Angriffe auf die Ukraine nach der Annexion der Halbinsel Krim verhindern sollte - ohne jedoch der Ukraine echte Sicherheitsgarantien zu gewähren. 2022 überfiel Russland das Nachbarland dann erneut. Deshalb dringt die Ukraine auf Garantien der westlichen Partner und vor allem der Supermacht USA. Erst dann wäre die Ukraine bereit, auf eine Nato-Mitgliedschaft zu verzichten, hatte Selenskyj schon vor dem Treffen gesagt.
US-Vertreter bestätigten dies im Prinzip, nährten aber Zweifel, wie lange diese Sicherheitsgarantien gelten sollen. Russland sei offen für einen Beitritt der Ukraine zur EU und Trump wolle verhindern, dass Russland sich weiter nach Westen ausdehne, sagte ein Insider. Sowohl Merz als auch Selenskyj wichen der Frage aus, wie ein Waffenstillstand gesichert werden könnte. "Nach vier Jahren des Krieges wollen wir einen Waffenstillstand, der die Souveränität des ukrainischen Staates erhält", sagte Merz nur, ohne zu sagen, ob Russland dafür besetzte Gebiete wieder räumen müsste. Selenskyj wies Medienberichte zurück, dass die USA ihn aufgefordert hätten, den Donbass komplett an Russland zu übergeben.
Am Nachmittag hatten Merz und Selenskyj auf dem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum gesprochen und betont, wie wichtig private Investitionen in dem Land seien. Die Bundesregierung legte zudem einen Zehn-Punkte-Plan für eine engere Zusammenarbeit der Rüstungsindustrie beider Länder vor. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche kündigte zudem an, dass die Bundesregierung Investitionen deutscher Unternehmen in der Ukraine mit einem neuen Förderinstrument anschieben wolle. Es werde ein Startvolumen von 45 Millionen Euro haben und über die staatliche Förderbank KfW abgewickelt, sagte Reiche.
Während Trump auf ein schnelles Ende der Kämpfe drängt, fordern die Europäer die USA auf, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf weiter zu unterstützen und das Land nicht in einen Diktatfrieden mit Russland zu drängen. Am Donnerstag wollen die Europäer deshalb auf dem EU-Gipfel den Weg freimachen, um mehr als 200 Milliarden Euro an eingefrorenem russischem Staatsvermögen für die Finanzierung des ukrainischen Abwehrkampfes zu nutzen. Dies würde den Militäretat der Ukraine für die kommenden zwei, drei Jahre finanzieren und gilt als entschiedenes Signal an Russlands Präsident Wladimir Putin, nicht auf einen Kollaps der Ukraine zu setzen. Dies gilt auch deshalb als wichtig, weil Selenskyj innenpolitisch durch einen Korruptionsskandal im engsten Mitarbeiterkreis als angeschlagen gilt.
Sowohl Russland als auch die USA lehnen den Rückgriff auf diese sogenannten "frozen assets" ab. Die russische Zentralbank reichte am Montag vor einem Gericht in Moskau Klage gegen die Nutzung des Geldes in Höhe von 18,2 Billionen Rubel (rund 195 Milliarden Euro) ein. Er wolle dennoch einen Beschluss auf dem EU-Gipfel am Donnerstag, sagte der Kanzler. Die Entscheidung kann mit qualifizierter Mehrheit und damit ohne die russlandnahen EU-Länder Ungarn und die Slowakei fallen.
Die EU-Außenminister beschlossen zudem Sanktionen gegen Unterstützer der russischen Schattenflotte von Öltankern. Dabei geht es um Tanker, die außerhalb westlicher Kontrolle und Schifffahrtsstandards fahren und mit deren Hilfe Russland Sanktionen beim Ölexport umgeht.
(Mitarbeit: Steve Holland, Jeff Mason, Dmitry Antonov, Dan Peleschuk, Christian Krämer, redigiert von Scot W. Stevenson)