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12.09.2024 /14:57:17
SPOTANALYSE-Experten zur Zinssenkung der EZB

Frankfurt/Berlin, 12. Sep (Reuters) - Angesichts der abebbenden Inflation senkt die Europäische Zentralbank (EZB) erneut die Leitzinsen. Nach der geldpolitischen Wende vom Juni legte sie am Donnerstag erstmals nach: Der für die Finanzmärkte maßgebliche Einlagesatz, zu dem Banken bei der EZB kurzfristig überschüssige Gelder anlegen können, wurde von 3,75 auf 3,50 Prozent gekappt. Zugleich lassen die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde nur wenige Wochen vor der nächsten Sitzung im Oktober offen, wie es geldpolitisch weitergeht: "Der EZB-Rat legt sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest."

Ökonomen und Finanzexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:

CLEMENS FUEST, PRÄSIDENT IFO-INSTITUT:

"Die Zinssenkung der EZB ist vertretbar. Angesichts der sinkenden Inflation in den letzten Monaten und schwacher Konjunkturaussichten kann man eine Lockerung der Geldpolitik rechtfertigen. Allerdings ist zu beachten, dass die Inflation im Dienstleistungssektor noch über vier Prozent liegt. Insofern bleiben Inflationsrisiken. Weitere Zinssenkungen erscheinen nur dann angemessen, wenn der Rückgang der Inflation sich fortsetzt. Unmittelbare Auswirkungen auf die Konjunktur wird diese Zinssenkung nicht haben, weil sie an den Märkten schon eingepreist war."

ALEXANDER KRÜGER, CHEFVOLKSWIRT HAUCK AUFHÄUSER LAMPE:

"Es spricht vieles dafür, dass die EZB an behutsamen Zinssenkungen vorerst festhält. Das auch deshalb, weil das Lohnwachstum gemessen an der Produktivitätsentwicklung bis auf Weiteres zu hoch sein wird. Sich nicht festzulegen und die Daten abzuwarten ist eine vernünftige Strategie der EZB."

FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW-INSTITUT:

"Diese Zinssenkung war zwangsläufig. Das entscheidende Argument war dabei nicht einmal die jüngste Annäherung der Inflation an die Zwei-Prozent-Grenze. Endgültig hat hingegen die immer schlechtere Wachstumsaussicht für Deutschland den Weg für niedrigere Zinsen frei gemacht. Weil das Wachstum in der größten Ökonomie der Eurozone zum Erliegen gekommen ist und hier sogar eine Rezession droht, ist der Weg für zwei bis drei Zinssenkungsschritte bis zum Jahresende frei geworden. Der Ausfall des deutschen Wachstumsmotors belastet die ganze Eurozone und dämpft daher auch den Preisdruck. Die Eurozone könnte somit anders als die USA auf eine harte Landung bei ihrem Weg aus der Inflation zusteuern."

JÖRG KRÄMER, CHEFVOLKSWIRT COMMERZBANK:

"Diese bereits zweite EZB-Zinssenkung ist riskant. Denn die Inflation ohne die stark schwankenden Preise für Energie und Nahrungsmittel hat sich deutlich über dem Ziel der Notenbank festgesetzt. Außerdem legen die Arbeitskosten rasant zu. Wenn die Inflationsrisiken in den kommenden Monaten nicht deutlich zurückgehen, muss die EZB bereit sein, den Zinssenkungsprozess auszusetzen. Aber danach sieht es nicht aus. Die vielen Tauben im EZB-Rat scheinen zu weiteren Lockerungen der Geldpolitik bereit, sofern es die Inflationsdaten auch nur halbwegs hergeben."

IRIS SCHÖBERL, PRÄSIDENTIN ZENTRALER IMMOBILIEN AUSSCHUSS

(ZIA):

"Die heutige Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank sollte die Bundesregierung anspornen, Investitionen durch eigene mutige Schritte zu erleichtern. Steigende Baukosten plus rasant steigende Zinslasten haben Investoren zuletzt geradezu gelähmt. Wenn die Regierung den Schwung der geplanten Leitzins-Senkung aufnimmt, könnte sie eine Bau-Welle in Gang setzen ? ein Push am Wohnungsmarkt wäre dann endlich wieder realistisch."

JOACHIM SCHALLMAYER, DEKABANK:

"Der vorsichtige Zinsschritt signalisiert dem Markt glaubhaft, dass die EZB ihr mittelfristiges Inflationsziel fest im Blick hat. Zur Belebung der Wirtschaft braucht es mehr, als nur niedrigere Zinsen. Die hartnäckig zu hohen Kerninflationsraten werden sich mittelfristig nur langsam nach unten bewegen. Gleichzeitig gilt es, die Nachfrage in einer ohnehin nur mäßig wachsenden Wirtschaft, nicht unnötig stark zu bremsen. Der heutige Zinsschritt ist in diesem Umfeld die richtige Entscheidung. Wir rechnen mit weiteren quartalsweisen Senkungen von jeweils 25 Basispunkten bis ein Niveau von etwa zwei Prozent erreicht ist."

HEINER HERKENHOFF, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER BANKENVERBAND (BDB):

"Die heutige Senkung des Einlagesatzes der Europäischen Zentralbank auf 3,5 Prozent ist angemessen. Die Inflationsrate im Euroraum lag zuletzt mit 2,2 Prozent erstmals seit drei Jahren wieder sehr nahe am Inflationsziel der EZB. Dennoch können die europäischen Währungshüter noch nicht in den 'Entspannungsmodus' schalten. Für die EZB wird es daher auch in den kommenden Monaten ganz entscheidend sein, das richtige Fingerspitzengefühl zu beweisen. Dazu gehört es auch, den Erwartungen auf schnell aufeinander folgende Zinssenkungen in der Öffentlichkeit entgegenzutreten."

SILKE TOBER, GEWERKSCHAFTSNAHES IMK-INSTITUT:

"Die heutige Zinssenkung der EZB war richtig, sie hätte aber stärker ausfallen können. Eine Senkung um einen halben Prozentpunkt wäre das bessere Signal gewesen. Denn während die Inflation unter Kontrolle zu sein scheint und im kommenden Jahr sehr nah am Inflationsziel liegen dürfte, steigen die Risiken für die Konjunktur. Weitere Zinsschritte sollten zügig folgen, da die weiterhin stark restriktive Geldpolitik insbesondere die Investitionstätigkeit schwächt. Für Ende 2024 erwarte ich einen Leitzins von drei Prozent."

CYRUS DE LA RUBIA, CHEFÖKONOM HCOB BANK:

"Ein weiterer Zinsschritt dürfte folgen. Die EZB dürfte nicht aggressiver agieren, weil die Kernrate der Inflation und auch die Dienstleistungsinflation hartnäckig hoch bleiben. Für die Kernrate der Inflation erwarten wir für September einen Wiederanstieg auf 3,2 Prozent."

MICHAEL HEISE, CHEFÖKONOM HQ TRUST:

"Die heutige Zinssenkung ist der Lage angemessen. Es dürfte noch eine weitere bis Jahresende folgen. Der Zinspfad in 2025 wird jedoch nicht so deutlich nach unten gehen, wie es die Finanzmärkte derzeit erwarten."

JÖRG ASMUSSEN, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER DES GESAMTVERBANDS DER

DEUTSCHEN VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT (GDV):

"Die heutige EZB-Entscheidung, den Zinssenkungspfad weiter fortzusetzen, ist richtig und durch die aktuelle Datenlage klar begründet. Sie ist ein positives und beruhigendes Signal an die Märkte. Dennoch sollte die EZB weiter Fingerspitzengefühl zeigen. Wir sehen einerseits weiter hohe Teuerungsraten im Dienstleistungssektor, sodass sich die Inflationsrate auch zukünftig als hartnäckig erweisen könnte. Andererseits sollte die EZB das richtige Timing der weiteren Zinsschritte nicht verpassen. Heute wählt die EZB mit ihrer Senkung um 25 Basispunkte meines Erachtens einen sehr guten Mittelweg."



(Bericht von Klaus Lauer - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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