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01.07.2024 /15:49:39
VORSCHAU-Berlin-Warschau - Suche nach dem neuen alten Partner

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Regierungskonsultationen in Warschau mit beiden Kabinetten



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Scholz und Tusk wollen breiten Aktionsplan verabschieden



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Prawda: Treffen auch im Lichte der Wahlen in Frankreich und USA



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Differenzen bleiben bei Reparationen - und Verkehrsanbindung





- von Andreas Rinke und Marek Strzelecki
Berlin/Warschau, 01. Jul (Reuters) - Dass sich am
Dienstag die Kabinette der deutschen und polnischen Regierungen
so kurz nach der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen
treffen, ist Zufall. Aber gerade weil nach dem Sieg des
rechtsnationalen RN dunkle Wolken im deutsch-französischen
Verhältnis aufziehen, gilt eine enge Absprache zwischen Berlin
und Warschau als besonders wichtig. Kanzler Olaf Scholz und
Ministerpräsident Donald Tusk haben daher verabredet, dass sich
die kompletten Ministerinnen- und Ministerriegen in Warschau
treffen sollen - erstmals seit sechs Jahren gibt es wieder
Regierungskonsultationen. In Warschau wird nach Angaben aus
Regierungskreisen ein breiter Aktionsplan beschlossen, der die
Zusammenarbeit in den kommenden Jahren prägen soll.

Scholz und Tusk wollen sicherstellen, dass die Zusammenarbeit beider Länder eine breitere Basis als bisher bekommt. Denn die Regierungszeit der eher antideutschen, nationalkonservativen PiS-Partei hat Spuren im bilateralen Verhältnis hinterlassen. Erst seit dem Sieg von Tusk bei den Parlamentswahlen hat sich das bilaterale Verhältnis wieder entscheidend verbessert. "Wir haben seit mehreren Monaten an alle Ministerien appelliert, in Arbeitskontakt zu treten und kreative Überlegungen darüber anzustellen, was wir besser machen können", beschreibt der stellvertretende polnische Außenminister Marek Prawda die Wiederannäherung.

GEMEINSAMER BLICK AUF EU UND UKRAINE

Das gilt auch für die EU-Politik. Demonstrativ forderten Scholz und Tusk in einem gemeinsamen Brief vergangene Woche die anderen EU-Partner auf, sich bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge solidarischer zu zeigen. Beide Regierungen gehören zu den Hauptunterstützern der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren. Die von Scholz verkündete "Zeitenwende" und die deutliche Anhebung der Verteidigungsausgaben in Deutschland haben die Differenzen zwischen Berlin und Warschau in einem entscheidenden außenpolitischen Feld deutlich verringert. Jahrzehntelange hatten polnische Partner parteiübergreifend wechselnden Bundesregierungen einen zu freundlichen Kurs gegenüber Russland vorgeworfen.

In Regierungskreisen in Berlin heißt es, man wolle gerade der Verteidigungszusammenarbeit einen neuen "Impuls" geben. Tusk gilt auch auf europäischer Ebene als wichtiger Partner sowohl bei den von Scholz angestrebten Erweiterungen als auch den Reformen innerhalb der EU. Vize-Außenminister Prawda sagt, dass man die Gespräche eben auch im Licht "der Sorge über die Zukunft der EU nach den Wahlen in Frankreich und vor den Wahlen in den Vereinigten Staaten" sehen müsse.

DIFFERENZEN BLEIBEN

Allerdings ist auch das deutsch-polnische Verhältnis nicht spannungsfrei: So dringt Tusk beispielsweise anders als die Bundesregierung auf eine gemeinsame Verteidigungsfinanzierung der EU. Die Bundesregierung lehnt gemeinsame eine Schuldenfinanzierung der EU ab. Auch die von Scholz geforderte Abschaffung der Einstimmigkeit in der Außen- und Steuerpolitik wird von dem Nicht-Euro-Land eher skeptisch gesehen. Dennoch gilt die polnische Regierung nun als so klar proeuropäisch, dass Frankreich und Deutschland auch das sogenannte Weimarer Dreieck - also die Abstimmung zwischen den drei wichtigen EU-Staaten - forciert haben. Da der bis 2027 amtierende französische Präsident Emmanuel Macron die Zuständigkeit in der Europa- und Außenpolitik hat, dürfte sich dies auch durch neue politischen Mehrheiten im französischen Parlament nicht ändern.

Aber auch bilateral gibt es Differenzen. Wechselnde polnische Regierungen fordern Reparationen für das Wüten des nationalsozialistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg - was Deutschland aber ablehnt. Unter Tusk haben sich die antideutschen Töne zwar verflüchtigt. "Aber die polnische Gesellschaft erwartet einige deutsche Reaktionen, um den Eindruck zu verringern, dass Polen aus verschiedenen Gründen unverhältnismäßig wenig Leistungen als Entschädigung für Kriegsschäden erhalten hat", betont auch Prawda.

Für Missstimmung sorgt auch die eher schlechte Verkehrsanbindung Deutschlands nach Osten. "Die deutsch-polnische Grenzregion ist eine Herzkammer Europas geworden. Wir können und wollen hier noch enger zusammenwachsen", sagt der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Dietmar Nietan, der Nachrichtenagentur Reuters. "Das bedeutet auch, dass wir den Ausbau der Schienenverbindungen zwischen Berlin und Warschau oder die sogenannte "Ostbahn" angehen müssen." Gemeint ist damit ein zweigleisiger Ausbau und die Elektrifizierung des Streckenabschnitts Berlin-Küstrin. Zuletzt hatte es aber Berichte gegeben, dass die Deutsche Bahn angeblich ihr Zug-Angebot in Ostdeutschland teilweise sogar noch ausdünnen könnte.

(Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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