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09.10.2024 /21:31:38
FEATURE-"Ich finde es so gruselig" - Weidel gegen Wagenknecht

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Welt-TV organisiert Duell der Vorsitzenden von AfD und BSW

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Weitgehend Einigkeit bei Russland-Politik

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Clash beim Thema Migration

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"Steigbügelhalterin" gegen "Höcke-Unterstützerin"
 
- von Andreas Rinke
Berlin, 09. Okt (Reuters) - Beim Thema Migration redet
sich Sahra Wagenknecht in kontrollierte Rage. "Ich finde es so
gruselig", sagt die BSW-Chefin am Mittwochabend im ersten
TV-Duell mit der AfD-Co-Vorsitzenden Alice Weidel. Minutenlang
hat sie Weidel zuvor Vorhaltungen gemacht, dass diese den
thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke in der Partei
duldet, obwohl selbst Weidel ihn vor Jahren wegen Nähe zum
nationalsozialistischen Positionen aus der AfD werfen wollte.
Die AfD-Vorsitzende schweigt lange, bevor sie in der Sendung
erst mit der - unwidersprochenen - Bemerkung kontert, dass die
"wahren Extremisten" angeblich die frühere Kanzlerin Angela
Merkel und die heutige Innenministerin Nancy Faeser seien. Dann
wird die AfD-Chefin persönlich: "Frau Wagenknecht hat ja einen
langen Lauf hinter sich. Erst in der SED, dann in der PDS, dann
in der Linken."

Das ist einer der gegenseitigen Tiefschläge der beiden Politikerinnen in einem ungewöhnlichen Format. Obwohl der Bundestagswahlkampf noch gar nicht richtig begonnen hat, ist das TV-Duell Vorbote der Debatte, wer eigentlich mit wem diskutieren sollte. Welt-TV hatte schon vor einem halben Jahr versucht, mit dem TV-Duell zwischen Höcke und dem thüringischen CDU-Vorsitzenden Mario Voigt Aufmerksamkeit als ungewöhnliche Debattenplattform zu bekommen - und dafür sowohl Anerkennung erhalten wie auch Kritik für einen "Tabubruch" einstecken müssen. Jetzt ist die Aufregung geringer, weil beide Frauen auch von ARD und ZDF regelmäßig in Talkshows eingeladen werden.

Bei Wagenknecht und Weidel wird schnell klar, aus welch unterschiedlichen Positionen heraus sie diskutieren. Wagenknechts BSW steckt gerade in drei ostdeutschen Bundesländern in Sondierungsgesprächen mit SPD und CDU - der Blick auf die Regierungsbänke lässt Wagenknecht staatstragender auftreten. Weidel kann dagegen Fundamentalopposition verkörpern und beschimpft das BSW als "Steigbügel-Halterin für Altparteien". Das weist Wagenknecht als "ehrenrührig" zurück - und betont ihrerseits genüsslich, dass Weidel eben eine Partei vertrete, mit der niemand in Deutschland etwas zu tun haben wolle. "Ich schließe eine Koalition mit Leuten, die im Neonazi-Sumpf verankert sind, natürlich aus. Für unser Land wäre das nicht ein Gewinn, sondern eine Bedrohung", sagt sie mit Blick auf Politiker wie Höcke und nimmt zumindest an dem Punkt die Position wie CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke ein.

Dabei betonen die beiden Frauen immer wieder nicht nur eine Art gegenseitigen Respekts, sondern auch Gemeinsamkeiten. Beide unterstreichen bei Fragen zum Ukraine-Konflikt, dass der Westen Russlands Sicherheitsinteressen missachtet habe - ohne dass allerdings klar wird, was daraus folgt außer dem gemeinsamen sehr kritischen Blick auf die USA. Denn gleichzeitig spricht Wagenknecht von einem "verbrecherischen" Krieg" Russlands, Weidel von einem "völkerrechtswidrigen Angriff". Der Wunsch nach Verhandlungen und deren Ziel bleibt in der Debatte allgemein stehen, ohne dass beide sagen müssen, was sie darunter verstehen und was das für die Ukraine bedeuten würde. Im Nahost-Konflikt lehnen übrigens beide Politikerinnen die Lieferung deutscher Waffen an Israel ab.

In der Wirtschaftspolitik knallen die Meinungen voll aufeinander. Während sich Weidel als "konservativ-liberal-freiheitliche" Politikerin bezeichnet, die gegen "jegliche Staatsintervention und planwirtschaftliche Elemente" sei, wirft ihr Wagenknecht vor, dass die AfD einen generellen sozialen Kahlschlag plane. Natürlich müsse sich der Staat aber viel stärker engagieren, auch mit neuen Schulden. Das lehnt Weidel mit Blick auf die Schuldenbremse ab.

Am schärfsten ist der Kontrast aber überraschenderweise in der Migrationspolitik - obwohl im Ost-Wahlkampf eigentlich beide populistische Parteien für einen harten Kurs eintraten. Aber während Weidel mit ihrer sehr islamkritischen Haltung auch noch Syrer aus dem Land werfen will, die mit einem anerkannten Asylantrag hier Arbeit gefunden haben, wirft Wagenknecht ihr vor, bewusst Ressentiments gegen Ausländer zu schüren. Ihr werde "Angst und Bange" bei Forderungen von AfD-Politikern wie Höcke, gleich mehrere Millionen Menschen abschieben zu wollen. Man dürfe doch nicht gegen Menschen vorgehen, "die in Deutschland angekommen sind, die einer regulären Arbeit nachgehen, die eine Familie gegründet haben, oft auch mit Deutschen zusammen".

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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