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01.07.2024 /16:46:52
TOP-THEMA-Sorge und Erleichterung nach erster Runde der Frankreich-Wahl

(Neu: Reaktionen deutscher Politiker, Märkte)

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Absolute Mehrheit für rechtsnationale RN in Stichwahl unwahrscheinlich



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Differenzen zwischen Linken und Liberalen



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Deutsche Politiker warnen vor antieuropäischem Rechtsruck



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Frankreichs Börse im Plus, Spreads bei Staatsanleihen sinken





Paris/Berlin, 01. Jul (Reuters) - Der Wahlsieg des
rechtsnationalen Rassemblement National (RN) in der ersten Runde
der französischen Parlamentswahlen ist in der Politik mit
Sorgen, an den Börsen dagegen mit Erleichterung aufgenommen
worden. In Frankreich begann die Positionierung für die
entscheidende zweite Runde der Wahlen am Sonntag. Aus
Deutschland als wichtigstem EU-Partner kamen Warnungen vor einem
Rechtsruck.

Der französische Finanzminister Bruno Le Maire schloss am Montag aus, die Wähler aufzufordern, einen Kandidaten der linksgerichteten Partei LFI von Jean-Luc Mélenchon zu wählen, falls dies die einzige realistische Möglichkeit wäre, um einen Kandidaten des RN zu verhindern. Die LFI ist Teil des Linksbündnisses. Führende Vertreter der französischen Linken und des zentristischen Blocks von Präsident Emmanuel Macron hatten zuvor erklärt, sie würden bei den nötigen Stichwahlen am Sonntag ihre eigenen Kandidaten in Bezirken zurückziehen, in denen ein anderer Kandidat bessere Chancen hätte, die extreme Rechte zu schlagen. Deshalb ist es unsicher, ob der RN auf die angestrebte absolute Mehrheit im französischen Parlament kommt.

Der RN von Marine Le Pen erhielt am Sonntag 33 Prozent der Stimmen. Der Zusammenschluss von Linken und Grünen kam auf 28 und die liberale Ensemble-Gruppierung von Macron auf 20 Prozent. Le Pen sagte am Sonntagabend, sie hoffe, dass der RN-Parteivorsitzende Jordan Bardella nun Regierungschef werde. Nur ein Bruchteil der Direktmandate konnte in der ersten Runde aber mit absoluter Mehrheit in den Wahlkreisen gewonnen werden.

Bei der vergangenen Wahl hatten die Parteienblöcke Allianzen geschmiedet, um den Sieg von Kandidaten des RN zu verhindern. Auch der amtierende Ministerpräsident Gabriel Attal, der Macrons Partei angehört, forderte: "Keine einzige Stimme darf an den RN gehen. (...) Die Aufgabe ist klar: eine absolute Mehrheit für den Rassemblement National zu verhindern." Macron selbst forderte per Pressemitteilung, in der zweiten Wahl nur Kandidaten zu unterstützen, die "klar republikanisch und demokratisch" sind. RN-Chef Bardella forderte die Wähler dagegen auf, seiner Partei eine absolute Mehrheit zu sichern, um einen Linksrutsch in Frankreich zu verhindern.

Macron ist bis 2027 als französischer Präsident gewählt und hat weitreichende Kompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik. Durch den absehbaren Verlust seiner Mehrheit in der Nationalversammlung dürfte er aber die Kontrolle über die innenpolitische Agenda weitgehend verlieren - also etwa die Wirtschaftspolitik, Sicherheit, Einwanderung und Finanzen. Macron hatte nach der Niederlage seiner Partei bei der Europawahl Anfang Juni überraschend vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt.

DEUTSCHE POLITIKER ENTSETZT

In Deutschland reagierte viele Politiker besorgt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, dass es niemanden kalt lasse, wenn in Frankreich "eine Partei weit vorne liegt, die in Europa das Problem und nicht die Lösung sieht". SPD-Co-Chefin Saskia Esken sagte, dass man die Zugewinne des RN nicht länger "nur als Warnschuss für demokratische Kräfte in Europa" verstehen dürfe. Es gebe ein internationales rechtsradikales Netzwerk. Auf die Frage, ob nicht auch die antideutschen Positionen des Linkspolitikers Mélenchon ein Problem seien, fügte die SPD-Chefin hinzu, dass es auch in Deutschland das Phänomen gebe, dass linksgerichtete Parteien wie das BSW den Rückzug von europäischen Verpflichtungen und ein Nachlaufen hinter Botschaften Russlands propagierten. "Das ist auch eine Gefährdung des Zusammenhalts in Europa. Aber wir sollten die Gefahren nicht gleichsetzen", mahnte sie.

Macrons Entscheidung für Neuwahlen sei "unklug" gewesen, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Das Ergebnis habe ihn nicht überrascht. Unabhängig davon seien gute Beziehungen zwischen Paris und Berlin aber essenziell.

BÖRSE IN FRANKREICH LEGT ZU

Die Börsen zeigten sich dagegen entspannt. Die französischen Aktienmärkte legten am Montag um rund 1,5 Prozent zu. Auch die Kurse französischer Staatsanleihen stiegen. Grund ist offenbar, dass die Anleger keine absolute Mehrheit für das RN oder das linke Lager mehr erwarten. Der von einigen vorhergesagte Erdrutschsieg des RN sei ausgeblieben, sagte Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst von CMC Markets. "Das Risikoszenario, dass die vereinigte Linke die Macht übernehmen und ihre kostspielige Agenda umsetzen könnte, scheint weiter zurückgegangen zu sein", sagte Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg.

(Bericht von Tassilo Hummel, Andreas Rinke, Alexander Ratz, Reinhard Becker und Amanda Cooper. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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