(Aktualisierter Hintergrund vom Samstag) |
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Debatte über Termin der vorgezogenen Bundestagswahl |
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Neben politischen auch rechtliche und praktische Fragen |
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Wahlleiterin warnt vor überstürztem Vorgehen |
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Weihnachten, Schulferien und Fasching werfen Probleme auf |
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Scholz schließt Vertrauensfrage im Dezember nicht mehr aus |
- von Jörn Poltz |
11. Nov (Reuters) - In der Debatte über die vorgezogene |
Neuwahl des Bundestags scheint sich das Feld der möglichen |
Termine zu lichten. Denn neben der politischen Frage, ob |
Deutschland mit der rot-grünen Minderheitsregierung von Kanzler |
Olaf Scholz (SPD) eine monatelange Hängepartie droht, stehen die |
Verantwortlichen auch vor einer Reihe rechtlicher und |
praktischer Fragen, von denen der Wahltermin abhängt. |
Berücksichtigt werden müssen gesetzliche Fristen, logistische |
Aufgaben, Ferien und Feiertage, womöglich auch die Wahl zum |
Landesparlament in Hamburg am 2. März. |
Bundeswahlleiterin Ruth Brand warnte vor einer überstürzten Neuwahl und will sich am Montag mit den Wahlleitern der Bundesländer beraten. Scholz signalisierte unterdessen Bereitschaft, parteiübergreifend eine Verständigung über den Wahltermin herbeizuführen. Am Sonntagabend bot er in der ARD an, die dafür notwendige Vertrauensfrage an den Bundestag nicht erst im Januar, sondern bereits vor Weihnachten zu stellen. Damit wäre eine Neuwahl deutlich früher möglich als Ende März, wie es Scholz zunächst angekündigt hatte. Das war vielfach als zu spät kritisiert worden. Oppositionsführer und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) forderte Neuwahlen bereits am 19. Januar. Umfragen zufolge kann die Union mit einem klaren Wahlsieg rechnen, dürfte aber einen Koalitionspartner benötigen.
Nach den Vorgaben des Grundgesetzes hat es der Kanzler allein in der Hand, den Stein ins Rollen zu bringen. Die Vertrauensfrage ist praktisch die einzige Möglichkeit, Neuwahlen einzuleiten. Wenn der Kanzler den ersten Schritt geht, stehen allerdings auch der Bundestag, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und weitere Beteiligte in Bund, Ländern und Kommunen in der Verantwortung. Eine wichtige Rolle spielt auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie kann nach Paragraph 52 des Bundeswahlgesetzes Fristen, die im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahlordnung genannt sind, durch Rechtsverordnung verkürzen.
Unumstößlich sind jedoch die Fristen des Grundgesetzes: Scholz hatte zunächst angekündigt, dem Bundestag die Vertrauensfrage im neuen Jahr zu stellen, damit das Parlament am 15. Januar darüber abstimmen könne. Den formellen Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen, müsste Scholz laut Artikel 68 des Grundgesetzes 48 Stunden vorher stellen, in diesem Fall also am 13. Januar. Wenn der Bundestag Scholz wie erwartet das Vertrauen verweigert, kann der Bundespräsident das Parlament auflösen. Steinmeier hat signalisiert, dass er grünes Licht geben könnte. Für diese Entscheidung hat er 21 Tage Zeit.
Nach der Parlamentsauflösung tickt die Uhr: Dann bleiben laut Artikel 39 des Grundgesetzes maximal 60 Tage Zeit, um den Bundestag neu zu wählen. Darauf verwies Bundeswahlleiterin Brand, die als Chefin des Statistischen Bundesamts oberste Koordinatorin der Wahl ist. In einem Brief an Scholz erklärte sie, es sei "erforderlich, den Zeitraum der 60 Tage ab Auflösung des Deutschen Bundestages voll ausschöpfen zu können, um alle erforderlichen Maßnahmen rechtssicher und fristgemäß treffen zu können". Denn die Vorbereitung sei ein Kraftakt vor allem für kleinere Parteien und für kommunale Wahlbehörden.
Zwar zeigte sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund laut RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) offen für einen vorgezogenen Wahltermin. Doch Wahlleiterin Brand warnte davor, den Bundestag bereits im November oder im Dezember aufzulösen: "Soweit Termine und Fristen in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen würden, wäre der nur sehr knappe Zeitraum von 60 Tagen maßgeblich verkürzt", schrieb sie.
Das weckte Erinnerungen an das Chaos im Land Berlin bei der regulären Bundestagswahl 2021. Nachdem es wegen logistischer Überforderung der Behörden zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekommen war, musste die Wahl dort in Teilen wiederholt werden. Aufgearbeitet wurde das Debakel von einer Kommission um den Politik- und Verwaltungswissenschaftler Stephan Bröchler, der anschließend zum neuen Landeswahlleiter ernannt wurde. Bröchler warnte am Sonntag in der ARD ebenfalls vor einem überhasteten Vorgehen.
Falls den Beteiligten das Pannenrisiko angesichts der Weihnachtsferien zu groß ist, könnte ein weiteres Szenario ins Spiel kommen: Wenn Scholz wie am Sonntag angeboten vor der Weihnachtspause über die Vertrauensfrage abstimmen lässt, könnte Steinmeier den Bundestag nach den Feiertagen Anfang Januar auflösen. In diesem Fall liefe die 60-Tage-Frist bis Anfang März.
Doch dann droht neues Ungemach: Nicht nur liegen zwischen Ende Januar und Ende März in den meisten Bundesländern erneut verschiedene Schulferien, was Wahlkampf und Vorbereitungen beeinträchtigen könnte. Hinzu kommt, dass im Falle der von Brand geforderten Ausschöpfung der Frist frühestens am 2. März gewählt werden könnte. An diesem Sonntag wird allerdings in mehreren Regionen Karneval, Fastnacht beziehungsweise Fasching gefeiert. Das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen bereitet sich auf den Rosenmontag vor, und das von der CSU dominierte Bayern geht in die Faschingsferien.
Unterdessen wählt Hamburg am 2. März sein Landesparlament, die Bürgerschaft. Das könnte auch deswegen zum Politikum werden, weil Scholz früher Bürgermeister der Hansestadt war. In Hamburg ist die SPD einerseits traditionell stark und könnte bundespolitisch von örtlichem Rückenwind profitieren. Andererseits muss die Landespartei Umfragen zufolge Stimmenverluste befürchten, während die CDU auf Zugewinne hoffen kann. Scholz' Nachfolger im Bürgermeisteramt, SPD-Spitzenkandidat Peter Tschentscher, signalisierte bereits die Befürchtung, dass seine Landespartei in den erwarteten bundesweiten Abwärtsstrudel der Sozialdemokraten geraten könnte. "Eine Überlagerung bundespolitischer Themen in den Hamburger Wahlkampf wäre mir nicht recht", zitierte die "Welt" Tschentscher.
(Bericht von Jörn Poltz. Redigiert von Katharina Loesche Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)