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19.09.2024 /10:28:54
VORSCHAU -Österreichs Rechtspopulisten kämpfen ums Kanzleramt

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Österreicher wählen am 29. September neues Parlament



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Umfragen sehen FPÖ vorn



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Keine Brandmauer wie in Deutschland



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Regierungsbeteiligung von ÖVP gilt als ausgemacht





- von Alexandra Schwarz-Goerlich -

Wien, 19. Sep (Reuters) - Die rechtspopulistische FPÖ könnte bei der österreichischen Parlamentswahl am 29. September erstmals als stärkste Kraft hervorgehen. Ein Einzug ins Kanzlerlamt gilt aber als unsicher, denn fast alle Parteien haben ein Bündnis mit der islam- und EU-kritischen Partei ausgeschlossen. Eine sogenannte Brandmauer, die in Deutschland im Umgang mit der AfD besteht, gibt es gegen die FPÖ - die in den 50er Jahren entstand und schon mehrfach mitregiert hat - nicht. Die konservative ÖVP unter Kanzler Karl Nehammer kann sich als einzige Partei eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen vorstellen, allerdings nicht mit FPÖ-Chef Herbert Kickl. Inhaltlich wären die Überschneidungen groß.

Mit Kickl sei keine tragfähige Regierung möglich, und er habe sich in Verschwörungstheorien verfangen und übernehme keine politische Verantwortung, sagte Nehammer in einer Fernsehdebatte. Bei FPÖ-Wählern ist Kickl beliebt. Die Mehrheit will ihn einer Umfrage zufolge an der Parteispitze sehen, auch wenn dies eine Regierungsbeteiligung verhindert.

In den Niederlanden passierte genau das: Dort musste sich der Rechtspopulist Geert Wilders im Frühjahr trotz des Wahlsieges seiner PVV zurückziehen. Da er mit der Regierungsbildung scheiterte, musste er auf den Posten des Ministerpräsidenten verzichten. Kickl hat ein solches Szenario vehement ausgeschlossen.

Die FPÖ erlebte im Jahr 2000 Ähnliches: Sie kam auf den zweiten Platz und bildete eine Koalition mit der drittplatzierten ÖVP und überließ dieser das Kanzleramt. Der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider, der als einer der ersten Rechtspopulisten galt, musste sich ebenfalls zurückziehen. Damals zerbrach das schwarz-blaue Bündnis wegen innerparteilicher FPÖ-Streitereien. Bei der nächsten Wahl verlor die Partei nahezu zwei Drittel ihrer Wähler. Experten zufolge will Kickl "diesen Fehler" nicht wiederholen.

Dass die ÖVP - die seit 37 Jahren mitregiert - auch der nächsten Regierung angehören wird, gilt als so gut wie sicher. "Die ÖVP hat es durch diesen Nichtausschluss der FPÖ in einer Regierung geschafft, sich zu einem sehr zentralen Spieler in den Koalitionsverhandlungen zu entwickeln", sagt Politologin Katrin Praprotnik. Nach dem Höhenflug bei der Wahl 2019 unter Sebastian Kurz muss die ÖVP nun allerdings mit herben Einbußen rechnen.

ZÜNGLEIN AN DER WAAGE

Eine Mehrheit ohne FPÖ oder ÖVP dürfte Umfragen zufolge nicht zustandekommen. Die Rechtspopulisten liegen mit 27 bis 29 Prozent vorn, während die ÖVP auf 23 bis 25 Prozent kommt. Die Sozialdemokraten (SPÖ), die unter Parteichef Andreas Babler nach links gerückt sind, kommen auf 20 Prozent. Die Grünen, derzeit Juniorpartner in der Regierung mit der ÖVP, erreichen acht Prozent und die liberalen Neos neun. Als Alternative zu einer ÖVP/FPÖ-Koalition gilt ein Dreierbündnis aus ÖVP, SPÖ und Neos. Ein solches Bündnis wäre eine Premiere in Österreich.

Schon bei der Europawahl im Juni wurde die FPÖ erstmals bei einer bundesweiten Wahl mit 25,5 Prozent stärkste Kraft, knapp gefolgt von ÖVP und SPÖ. Auf Bundesebene regierte die FPÖ zuletzt bis Mitte 2019 mit. Damals stürzte die Partei in der Wählergunst ab, nachdem Vizekanzler Heinz-Christian Strache wegen Korruptionsverdacht zurücktrat und Kickl als damaliger Innenminister sein Amt aufgeben musste. Kurz danach zerbrach die ÖVP/FPÖ-Koalition.

Das Comeback der FPÖ wurde in der Pandemie eingeläutet. Die FPÖ kritisierte die Regierungsmaßnahmen. Zudem stimmte sie als einzige Parlamentspartei gegen die Impfpflicht, die zwar beschlossen, aber nicht umgesetzt wurde.

PUNKTEN MIT ASYLPOLITIK

Punkten kann die FPÖ bei ihren Wählern auch mit ihrer Asylpolitik. "Wir brauchen Remigration", sagte Kickl bei der Vorstellung des Wahlprogrammes. Die Zahl der Asylanträge will er auf null herunterfahren und Sozialleistungen an die Staatsbürgerschaft koppeln. Grenzabschnitte sollen mit Zäunen gesichert werden. Den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dessen Fidesz-Partei mit ihrer Asylpolitik von der EU abgestraft wird, bezeichnete der FPÖ-Chef als Vorbild. Die beiden Parteien haben mit anderen rechten Parteien im EU-Parlament ein Bündnis geschlossen. Kickl gilt zudem wie Orbán als russlandfreundlich. Er fordert einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg sowie ein Ende der österreichischen Hilfen. Zudem kündigte er ein Veto gegen die westlichen Russland-Sanktionen an.

Schwung in das Thema Migration kam mit dem verhinderten Anschlag auf ein Wiener Konzert der US-Sängerin Taylor Swift im August. Kurz vor dem Konzert wurden zwei junge Männer mit Migrationshintergrund festgenommen. Einer davon gilt als Anhänger der islamistischen Miliz Islamischer Staat. Die Absage sorgte für internationales Aufsehen und wurde politisch ausgeschlachtet. Die FPÖ warf der ÖVP Versagen in der Asylpolitik vor.

Zwei Wochen vor der Wahl trat das Thema Migration in den Hintergrund, nachdem schwere Unwetter und Überschwemmungen das Land erschütterten. Die Naturkatastrophe brachte den Klimawandel auf die Agenda - ein zentrales Thema der Grünen, während die FPÖ von einer "Klimahysterie" spricht. Ob die Grünen davon profitieren können, ist offen. Politologen bezweifeln, dass das Hochwasser große Auswirkungen auf das Wahlergebnis hat.

(Redigiert von Thomas Seythal. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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