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Präsident lädt FPÖ-Chef Kickl für Montag ein
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Van der Bellen: ÖVP offener für Koalition mit FPÖ
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ÖVP: FPÖ-Chef bekommt wohl Auftrag zur Regierungsbildung
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Neuer ÖVP-Chef: Sind zu Koalitionsgesprächen mit FPÖ bereit
(Mit Details, Kickl, mehr ÖVP, Van der Bellen, Hintergrund) |
- von Francois Murphy und Klaus Lauer |
Wien/Berlin, 05. Jan (Reuters) - In Österreich könnte |
die rechte FPÖ mithilfe der konservativen ÖVP erstmals den |
Kanzler stellen. Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen |
der ÖVP mit der sozialdemokratischen SPÖ und zuvor auch mit den |
liberalen Neos kündigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen |
am Sonntag an, er werde am Montagvormittag mit FPÖ-Chef Herbert |
Kickl in der Hofburg über die neue Lage beraten. Van der Bellen |
deutete an, dass er Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung |
geben könnte. Die ÖVP ist nach Angaben ihres neuen Chefs |
Christian Stocker anders als bisher bereit zu |
Koalitionsgesprächen mit der FPÖ. Kickl kündigte an, er werde |
vor seinem Gespräch mit dem Bundespräsidenten keine nähere |
Stellungnahme geben. |
Bisher hatte keine andere Partei mit der FPÖ koalieren wollen, die bei der Nationalratswahl Ende September stärkste Kraft geworden war. Zweitstärkste Partei wurde die ÖVP unter dem bisherigen Chef und Kanzler Nehammer. Van der Bellen sagte am Sonntag, nach Gesprächen mit politischen Vertretern ergebe sich ein neues Bild. Die Stimmen in der ÖVP, "die eine Zusammenarbeit mit einer FPÖ unter Herbert Kickl ausschließen", seien "deutlich leiser geworden", sagte er. "Das wiederum bedeutet, dass sich möglicherweise ein neuer Weg auftut, der so davor nicht existierte".
Der am Sonntag zum geschäftsführenden ÖVP-Chef ernannte Generalsekretär Stocker sagte, er gehe davon aus, dass Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt werde. Die ÖVP würde sich auf Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ einlassen. "Wenn wir zu diesen Gesprächen eingeladen werden, dann werden wir diese Einladung auch annehmen", erklärte der 64-Jährige. Dazu habe ihn der Parteivorstand "ausdrücklich ermächtigt". Stocker räumte ein, dass er sich in der Vergangenheit kritisch und hart zu Kickl geäußert habe. "Die Situation stellt sich seit gestern jedoch ganz anders dar", erläuterte er. "Es geht jetzt nicht um mich oder um Herbert Kickl, sondern es geht um das Land." Dies brauche eine stabile Regierung, "weil wir es uns nicht leisten können, mit fortwährenden Wahlkämpfen und Wahlen Zeit zu verlieren".
Kickl selbst äußerte sich nicht zu einem möglichen Auftrag, die neue Regierung zu bilden. Er werde am Montag ein persönliches Gespräch mit dem Bundespräsidenten führen, teilte er auf Facebook und X mit. "Eine mediale Stellungnahme von mir über diese Zeilen hinaus wird es vor dieser Unterredung nicht geben." Er erklärte mit Blick auf die gescheiterten Koalitionsverhandlungen der anderen Parteien, die FPÖ treffe "keine Verantwortung für verlorene Zeit, für chaotische Zustände und den enormen Vertrauensschaden, der entstanden ist". Die FPÖ sei "der einzig stabile Faktor der österreichischen Innenpolitik".
Zuvor waren Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ ebenso gescheitert wie Dreier-Gespräche mit den liberalen Neos. Bundeskanzler und ÖVP-Chef Nehammer hatte am Samstag seinen Rücktritt von beiden Ämtern angekündigt. Die russlandfreundlichen EU-Skeptiker der FPÖ waren aus der Parlamentswahl Ende September erstmals als stärkste Kraft hervorgegangen. Sie hatten aber von Van der Bellen keinen Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, da die anderen Parteien nicht mit ihr und dem umstrittenen Kickl zusammenarbeiten wollten.
Nehammer werde die Regierungsgeschäfte zunächst fortführen, sagte Van der Bellen. Der Präsident kündigte an, er werde in der neuen Woche einen neuen Bundeskanzler mit der Übergangsregierung betrauen. Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen habe ihn überrascht. "Das war nicht mein Wunsch." Jetzt gehe es aber darum, dass Österreich eine handlungsfähige Regierung bekomme mit einer stabilen Mehrheit von mehr als 50 Prozent im Nationalrat.
In der Demokratie gehe es darum, um Lösungen zu ringen und Kompromisse zu schließen, betonte der Bundespräsident. Wichtig seien in der liberalen Demokratie aber auch die in der Bundesverfassung festgelegten Elemente wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Menschenrechte, Minderheitenrechte, freie und unabhängige Medien sowie die EU-Mitgliedschaft. "Ich werde jedenfalls weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen darauf achten, dass diese Grundpfeiler unserer Demokratie respektiert werden." Kritiker bezweifeln, dass die FPÖ zu diesen Werten steht.
Die FPÖ hatte bei der Wahl im September knapp 29 Prozent der Stimmen geholt, die ÖVP erhielt 26,3 Prozent und die SPÖ gut 21 Prozent. Die ÖVP und die SPÖ hätten für eine Koalition nur eine knappe Mehrheit gehabt. Die Freiheitlichen und die Konservativen kämen bei einem Bündnis auf eine vergleichsweise komfortable Mehrheit, die ÖVP wäre der Juniorpartner. Im Falle von Neuwahlen könnte die FPÖ Umfragen zufolge mit einem noch stärkeren Ergebnis rechnen.
(Weitere Reporterinnen: Christine Uyanik und Anja Guder, redigiert von Jörn Poltz. - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)