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03.09.2024 /14:26:38
STICHWORT-VW-Krisen und das Ringen von Management und Betriebsrat

03. Sep (Reuters) - Die Marke Volkswagen, Herzstück des größten europäischen Autokonzerns VW <VOWG_p.DE>, steckt mal wieder in einer schweren Krise. Das Management will mit Maßnahmen dagegen steuern, die einem Tabubruch gleichkommen. Der Betriebsrat hat eine starke Stellung, um Kündigungen oder Werksschließungen zu verhindern. Das hat auch schon früher immer wieder zu heftigen Konflikten geführt, die auf die eine oder andere Art gelöst wurden:

WAS IST DIE AUSGANGSLAGE?

Schwache Nachfrage, hohe Kosten und Investitionen drohen VW 2024 in die roten Zahlen zu drücken. Bei dem 2023 beschlossenen Sparprogramm, das bis 2026 zehn Milliarden Euro Kostensenkung bringen soll, klafft ein Loch: Insider sagten dem "Handelsblatt", es fehlten zwei bis drei Milliarden Euro, dem "Manager Magazin" wurden sogar fünf Milliarden Euro genannt. VW zieht deshalb zum Streichen von Stellen Werksschließungen in Deutschland in Betracht - ein Novum in der Firmengeschichte. Die seit 30 Jahren immer wieder verlängerte Beschäftigungssicherung, aktuell bis 2029 geltend, soll gekündigt werden. VW ist mit etwa 120.000 Menschen größter Industriearbeitgeber Deutschlands - mittlerweile hat der Konzern also wieder so viele Beschäftigte wie vor dem Stellenabbauprogramm von 2016. Die Beschäftigungssicherung schließt betriebsbedingte Kündigungen aus. VW nahm deshalb immer wieder Geld in die Hand für sozialverträglichen Abbau über Altersteilzeit oder Abfindungen.

WARUM IST DER VW-BETRIEBSRAT SO MÄCHTIG?

Normalerweise kann die Arbeitnehmerbank im paritätisch besetzten Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft von der Eignerseite mit dem doppelten Stimmrecht des von den Eignern gestellten Aufsichtsratsvorsitzenden überstimmt werden. Bei Volkswagen hat der Betriebsrat dank des 1960 eingeführten VW-Gesetzes ein scharfes Schwert in der Hand: "Die Errichtung und die Verlegung von Produktionsstätten bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Beschluss bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln des Aufsichtsrats." Von einer Schließung ist im Gesetzestext nicht die Rede. Betriebsrats-Chefin Daniela Cavallo kündigt aber auch dieses Mal harten Widerstand an: "Mit mir wird es keine VW-Standortschließungen geben."

ABBAU VERHINDERT 2021

Die schwache Auslastung des Hauptwerks Wolfsburg sorgte immer wieder für Zoff zwischen Betriebsrat und Management. Im Jahr 2021 eskalierte der Streit: Der damalige Konzernchef Herbert Diess warnte intern vor dem Szenario eines Abbaus von bis zu 30.000 Stellen in Deutschland. Der Betriebsrat ging auf die Barrikaden. Diess machte einen Rückzieher und trat im Jahr darauf von seinem Posten ab.

ZUKUNFTSPAKT 2016-2019

VW war in der Klemme wegen milliardenhoher Rückstellungen im Dieselskandal, die 2015 aufgeflogene Manipulation von Abgaswerten. Im Zukunftspakt hatten sich Betriebsrat und Unternehmensleitung bis 2020 auf den Abbau von netto 14.000 Stellen verständigt. Weitere rund 2000 Arbeitsplätze sollten durch die Digitalisierung der Verwaltung entfallen. Anfang 2019 wurde nachgeschärft, um die enormen Investitionen in die Elektromobilität zu stemmen. Durch Digitalisierung in der Verwaltung sollten weitere 5000 bis 7000 Stellen verschwinden. Dem Umbau der Werke Hannover und Emden auf E-Autoproduktion fielen weitere 7000 Stellen zum Opfer. Der geplante Jobabbau summierte sich damit auf bis zu 28.000 Arbeitsplätze, ein Viertel der Belegschaft in Westdeutschland.

VIER-TAGE-WOCHE 1993

Als es Volkswagen Anfang der 90er Jahre schlecht ging, vereinbarte der damalige Konzernchef Ferdinand Piech mit der IG Metall die Vier-Tage-Woche, um Massenentlassungen zu verhindern. Damals standen in einer Absatzkrise 30.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel, wenn die Kosten nicht um 20 Prozent gesenkt würden. Die Arbeitszeit wurde von 36 auf 28,8 Stunden reduziert, die Löhne aber nicht gekürzt, weil anstehende Tariferhöhungen verrechnet wurden. Volkswagen sagte Beschäftigungssicherung zu. Piechs Nachfolger Bernd Pischetsrieder scheiterte später am Votum des Betriebsrats beim Versuch, Stellen abzubauen und musste 2006 gehen. Zugleich kehrte der Autobauer zur Fünf-Tage-Woche zurück.



(Zusammengestellt von Ilona Wissenbach, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)

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