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25.09.2024 /13:32:42
FOKUS 2-Trillerpfeifen und Sensenmann - Volkswagen steuert auf harten Tarifkonflikt zu

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IG Metall fordert Beschäftigungssicherung über 2030 hinaus

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Betriebsratschefin kündigt "historische Reaktion" an

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VW-Unterhändler: Lage ist ernst

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Mehrere Tarifverträge gekündigt
 
(Neu: Aussagen von Betriebsratschefin, Details, Hintergrund)
Hannover, 25. Sep (Reuters) -

Im Tarifkonflikt mit Europas größtem Autobauer Volkswagen <VOWG_p.DE> haben die Arbeitnehmer Widerstand gegen die Sparpläne des Managements angekündigt. Die IG Metall forderte vor Beginn der Gespräche eine Beschäftigungssicherung über das Jahr 2030 hinaus und drohte mit Streiks ab Dezember. IG-Metall-Chefunterhändler Thorsten Gröger sagte am Mittwoch vor mehr als 3000 Volkswagen-Beschäftigten in Hannover, falls nötig, stünden ab dem 1. Dezember zehntausende VW-Mitarbeiter vor den Werkstoren und auf der Straße. "Der Winter kommt ? und wir werden dann, wenn nötig, dem Vorstand richtig einheizen!" Der Konflikt mit VW habe erst begonnen.

Betriebsratschefin Daniela Cavallo sprach von historischen Tabubrüchen des Vorstands. "Ebenso historisch wird unsere Reaktion als Arbeitnehmerseite sein." Immer wieder untermalten die VW-Mitarbeiter auf dem Hof vor dem Tagungszentrum im Schloss Herrenhausen ihre Rede mit Pfeifkonzerten und Buh-Rufen. Die Demonstranten waren aus zahlreichen VW-Werken angereist, hielten Plakate in die Luft, Bengalofeuer wurden angezündet, Rauch lag über dem Hof. Einer hatte sich als Sensenmann verkleidet.



IG METALL VERTEIDIGT LOHNFORDERUNG
 
Die Gewerkschaft und das Unternehmen verhandeln zum
einen über den Gehaltstarifvertrag, zum anderen über eine Reihe
von Vereinbarungen unter anderem zur Beschäftigungssicherung,
die das Unternehmen gekündigt hatte. Die IG Metall fordert unter
anderem sieben Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten. Diese
Forderung stehe, sagte Gröger. Die Inflation sei zwar gesunken,
das heiße aber nicht, dass die Preise niedrig seien. "Außerdem
brauchen wir endlich einen Impuls für die Konjunktur."
 
Die Gewerkschaft und Cavallo kritisierten VW scharf
dafür, dass die Tarifverträge aufgekündigt wurden, ohne vorher
zu verhandeln. In den vergangenen Jahrzehnten hätten die
Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Management Lösungen für Krisen
gefunden, sagte Cavallo. Die Belegschaft und der Betriebsrat
verschlössen sich nicht, Lösungen für die derzeitige Situation
zu finden. "Insofern sind wir tief enttäuscht, dass dieser
Tabubruch jetzt begangen wurde, dass nach 30 Jahren
Beschäftigungssicherung diese Partnerschaft auf Augenhöhe auch
in schwierigen Zeiten aufgelöst wurde."
 
Sie erinnerte an die starke Stellung der Gewerkschaft
bei Volkswagen, die bis in die Anfänge des Unternehmens
zurückreiche. Das Werk in Wolfsburg sei mit dem Geld aufgebaut
worden, das die Nazis den Gewerkschaften geraubt hätten - und
nach dem Krieg hätten die Briten dafür gesorgt, dass die
Gewerkschaften einen großen Einfluss bei VW hätten. Bei VW seien
Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung gleichrangige
Ziele. "Es ist die Wurzel, es ist der Kern, es ist die DNA, es
ist die Identität von Volkswagen!" So habe der Betriebsrat das
Sparprogramm im vergangenen Jahr mitgetragen.
 
Volkswagen hatte den verschärften Sparkurs damit
begründet, dass der Autoabsatz in Europa deutlich gesunken ist
und um zwei Millionen Autos unter dem Vor-Corona-Niveau liegt.
Finanzchef Arno Antlitz sprach von 500.000 Fahrzeugen, die
allein VW deswegen fehlten. Dazu kommt die Schwäche in China.
VW-Chefunterhändler Arne Meiswinkel bezeichnete die Lage bei dem
größten europäischen Autobauer als ernst. "Der internationale
Wettbewerb droht an uns vorbeizuziehen", sagte er. "Deswegen ist
jetzt Handeln angesagt. Wir müssen gemeinsam unser Unternehmen
restrukturieren." In der ersten Verhandlungsrunde gehe es darum,
sich ein gemeinsames Bild über die Ausgangslage zu verschaffen,
sagte Meiswinkel.
 
NIEDERSACHSEN WILL MEHR FÖRDERUNG VON E-AUTOS
 
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil
kritisierte Volkswagen für die Drohung mit Stellenabbau und
Werksschließungen. "Ich hätte eine solche Kommunikation nicht
gebraucht!", sagte er. Das Unternehmen stecke in einer
schwierigen Lage und müsse nun alle Möglichkeiten prüfen, um die
Kosten zu verringern. "Eine Schließung von Standorten sehen wir
allerdings sehr kritisch", fügte er für die Landesregierung
hinzu. Das Land Niedersachsen ist Anteilseigner bei VW.
"Industrielle Strukturen, die einmal aufgegeben werden, sind für
immer verloren, dessen müssen sich alle Beteiligten bewusst
sein", warnte der Ministerpräsident. Deswegen gebe es die klare
Erwartung, die gemeinsamen Ziele "durch andere, intelligentere
Optionen" zu erreichen. Er hoffe, dass bis Ende November
Klarheit bestehe.
 
Zugleich forderte er die Bundesregierung auf,
Elektroautos stärker zu fördern. Mit Verweis auf den Einbruch
bei der Nachfrage und der gestrichenen E-Autoförderung durch die
Ampel sagte Weil am Mittwoch im niedersächsischen Landtag: "Alle
diese Erwägungen sprechen sehr dafür, dass die Bundesregierung
und der Bundestag neue Initiativen für eine Verkaufsförderung
bei Elektroautos ergreifen." Der Schritt der Bundesregierung,
für Dienstwagen befristet Sonderabschreibungen einzuführen,
reiche nicht aus, sagte Weil. "Was auch immer am Ende
herauskommen mag, eines ist klar: Es gibt ein großes
gesamtwirtschaftliches und gesamtgesellschaftliches Interesse
daran, den Absatz von Elektroautos wieder anzukurbeln."

(Bericht von Christina Amann, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter Berlin.Newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder Frankfurt.Newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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