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13.06.2025 /08:00:00
ANALYSE-Warum die Wehrfrage der erste Belastungstest für Schwarz-Rot ist

(Wiederholung vom Donnerstagnachmittag ohne Änderungen am Text)

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Bundeswehr-Expertin: Ohne Zwangsrekrutierung wird es nicht gehen



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Union: Pflichtvariante muss im Gesetz mitverankert werden



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SPD-Fraktionshef Miersch lehnt Pflicht in dieser Wahlperiode ab



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Militär und Rüstung in SPD umstritten





- von Markus Wacket -

Berlin, 13. Jun (Reuters) - Eigentlich schien der Sprengsatz bereits vor dem Regierungsantritt entschärft: Der populäre SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius wollte einen deutschen Wehrdienst nach dem Modell in Schweden, wo noch niemand gegen seinen Willen eingezogen wurde. Es gehe zunächst um Freiwilligkeit, heißt es auch im Koalitionsvertrag mit der Union. Doch wenige Wochen später hat sich die Debatte gedreht: Bis zu 60.000 Soldaten mehr braucht die Armee, räumte Pistorius kürzlich ein. Vor der Freiwilligkeit im Koalitionsvertrag betont er nun das Wort "zunächst". Die Union will jetzt im Wehrgesetzenwurf gleich die Pflicht mitregeln, denn Freiwilligkeit allein reiche nicht. Das bedeutet Unheil für die Sozialdemokraten vor ihrem Parteitag Ende Juni. Denn über den Wehrdienst wird eine hybride Friedens- und vor allem Gerechtigkeitsdebatte auf die neue SPD-Spitze einprasseln.

Die Koalition hatte die Gefahr eigentlich erkannt und sich zum Start eine Friedenspflicht auferlegt: Im schwarz-roten Sofortprogramm tauchen zwar Projekte wie der erleichterte Abschuss von Wölfen auf. Das Thema Krieg, Verteidigung und Wehrdienst findet sich trotz der gerade von der Nato geforderten Dringlichkeit unter den rund 60 Punkten nicht - auf Drängen der SPD, wie es in Koalitionskreisen heißt. Vor dem Parteitag soll das unbeliebte Thema kleingehalten werden.

Gerade erst jedoch haben SPD-Linke mit Blick auf das Treffen ein Manifest vorgelegt, mit dem sie den Ruf der Sozialdemokraten als Friedens- und Abrüstungspartei beleben wollen: In Deutschland hätten sich Kräfte durchgesetzt, die vor allem auf eine militärische Konfrontationsstrategie und milliardenschwere Aufrüstung setzten. Fraktionschef Matthias Miersch versucht die Partei zu beruhigen und sagt, dass eine Wehrpflicht in dieser Wahlperiode nicht kommen werde.

DISKUSSION ÜBER PLAN B

Kathrin Groh von der Bundeswehr-Uni in München hält das angesichts der von Pistorius angekündigten Soldatenzahlen für illusorisch: "Das schafft man nur, wenn man zwangsrekrutiert." Pistorius wollte eigentlich aber erstmal nur alle 18-Jährigen anschreiben und von den Männern zumindest eine Antwort verlangen. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Norbert Röttgen hingegen warnt angesichts der russischen Bedrohung vor Zeitverlust. Für ihn sei klar, dass in Pistorius' Gesetzentwurf neben Freiwilligkeit gleich ein Plan B verankert werden müsse. Groh sieht das ähnlich: "Ich halte es für eine kluge Variante, jetzt sozusagen mit einem Vorratsgesetz zu starten."

Das bringt in erster Linie die SPD in Schwierigkeiten: Pistorius gilt als offen für eine Form der Pflicht, Parteichef Lars Klingbeil ebenfalls. Beide gehören dem konservativen Flügel der SPD an. Sie könnten darauf verweisen, dass auch das schwedische Modell eine Pflicht vorsieht. Doch in Schweden ist die Armee populärer und die benötigte Rekrutenzahl gering. Auf Basis des neuen Modells wurde dort noch niemand zwangsverpflichtet.

Die Bundeswehr könnte derzeit jährlich etwa 15.000 neue Soldaten ausbilden - eine Zahl, die bei weitem nicht erreicht wird. Jedes Jahr scheiden altersbedingt genauso viele aus der Armee. Diese Zahl muss also rasant steigen, wenn die Bundeswehr um 60.000 aktive Soldaten wachsen und sich die Zahl der bereitstehenden Reservisten vervielfachen soll.

NEUE GERECHTIGKEITSFRAGE FÜR SPD

Die Pflichtvariante birgt mehr Brisanz als auf den ersten Blick ersichtlich. Sie wirft die große Frage der Wehrgerechtigkeit auf. Die ausgesetzte Wehrpflicht für Männer könnte zwar leicht wieder in Kraft gesetzt werden. Aber bis zu 300.000 Männer pro Jahrgang kann die Bundeswehr in den kommenden Jahren weder unterbringen noch ausbilden. Es müsste also eine Auswahl über die Freiwilligen hinaus geben. Nur die Fittesten? Die ohne Arbeit? Oder ohne Familie? Aufflammen wird die Diskussion, warum das Grundgesetz den Pflichtdienst von Frauen weiter untersagt. Ungelöste Fragen, die zum Aussetzen der Pflicht 2011 beitrugen.

Trotz der Dringlichkeit angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gilt in der Koalition derzeit darüber eine weitgehende Waffenruhe. Vor dem SPD-Parteitag soll dem linken Parteiflügel nicht noch Munition geliefert werden, die sowohl SPD-Führung als auch der Koalition insgesamt gefährlich werden könnte. Danach aber wird das Thema nach vorne rücken.

Die Juraprofessorin Groh rechnet mit einem langen, zähen Ringen. Vermutlich müssten auch die Landesregierungen beteiligt werden, etwa wegen der Kasernen für die Rekruten. Ein Erfolg sei es, wenn das Wehrgesetz noch in dieser Wahlperiode komme, die regulär bis 2029 dauert. Das ist das Jahr, in dem Russland nach Bundeswehr-Einschätzung in der Lage wäre, auch Nato-Gebiet anzugreifen.

(Redigiert von Thomas Seythal)

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