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30.09.2024 /06:18:18
WDHLG-TOP-THEMA-Österreichs Rechtspopulisten triumphieren bei Parlamentswahl

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FPÖ mit 28,8 Prozent klar in Führung



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ÖVP kommt auf 26,3 Prozent, SPÖ auf 21,1 Prozent



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Grüne erreichen 8,3 Prozent, liberale Neos 9,2 Prozent



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FPÖ muss Koalitionspartner finden, um regieren zu können



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Fast alle Parteien lehnen Koalition mit FPÖ ab



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ÖVP schließt Zusammenarbeit mit FPÖ-Chef Kickl aus



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Bundespräsident lässt vorerst offen, wer Regierung bilden soll





(Wiederholung vom Vorabend)
- von Alexandra Schwarz-Goerlich
Wien, 29. Sep (Reuters) -

In Österreich ist die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) erstmals bei einer Nationalratswahl als stimmenstärkste Kraft hervorgegangen. Die EU- und islamkritische Partei konnte beim Urnengang am Sonntag kräftig zulegen und kommt auf 28,8 Prozent der Wählerstimmen nach 16,2 Prozent bei der Wahl 2019, ergab eine aktualisierte Hochrechnung des Instituts Foresight für die Nachrichtenagentur APA und den ORF. Die FPÖ erreicht damit ihr bisher bestes Ergebnis. "Es ist ein Stück Geschichte, das wir heute geschrieben haben", sagte Parteichef Herbert Kickl vor seinen Anhängern bei der FPÖ-Wahlfeier in Wien. Um regieren zu können, braucht die für ihren scharfen Asylkurs bekannte Partei allerdings einen Bündnispartner. Ob das gelingt, ist offen.

Die konservative Volkspartei (ÖVP) unter dem amtierenden
Kanzler Karl Nehammer lehnt zwar nicht grundsätzliche eine
Koalition mit der FPÖ ab, schließt aber eine Zusammenarbeit mit
FPÖ-Chef Kickl aus. Dass Kickl zur Seite tritt, so wie das etwa
in den Niederlanden der Rechtspopulist Geert Wilders getan hat,
gilt als unwahrscheinlich. Die FPÖ sei bereit zu regieren, sagte
Kickl nach der Wahl bei einer Diskussionsrunde mit den anderen
Spitzenkandidaten. Gespräche wolle er mit allen Parteien führen.
"Unsere Hand ist ausgestreckt", so Kickl.
 
Fraglich ist aber, ob die FPÖ überhaupt den Auftrag zur
Regierungsbildung bekommen wird. Bundespräsident Alexander Van
der Bellen, der schon früher Bedenken gegen die FPÖ geäußert
hat, ließ das vorerst offen. Er werde in den kommenden Wochen
Gespräche mit allen im Nationalrat vertretenen Parteien führen
und dabei ausloten, welche Mehrheiten es geben könnte, erklärte
das Staatsoberhaupt nach der Wahl. Traditionell bekam in
Österreich bisher stets die stimmenstärkste Partei den Auftrag.
In der Verfassung festgeschrieben ist das aber nicht.
 
"Jetzt geht es darum, Lösungen und Kompromisse zu
finden", sagte der Bundespräsident. Er werde darauf achten, dass
bei der Regierungsbildung die Grundpfeiler der liberalen
Demokratie respektiert werden. Er nannte dabei: Rechtsstaat,
Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige
Medien und die EU-Mitgliedschaft.
 
ZÜNGLEIN AN DER WAAGE
 
Die ÖVP erleidet zwar eine historische Niederlage, wird
aber dennoch bei der Regierungsbildung eine entscheidende Rolle
spielen. Die Konservativen verloren auf 26,3 Prozent, nachdem
sie unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz 2019 noch auf 37,5 Prozent
gekommen waren. Abgeschlagen auf Platz drei liegt die
sozialdemokratische SPÖ mit 21,1 Prozent. Parteichef Andreas
Babler zeigte sich nach der Wahl offen für Gespräche, um eine
Allianz gegen die FPÖ zu bilden. Einer aktuellen Hochrechnung
zufolge käme eine Koalition aus ÖVP und SPÖ ebenfalls auf eine
knappe Mehrheit. Auf eine breitere Mehrheit käme eine
Drei-Parteien-Koalition. In Frage kommt dafür neben der ÖVP und
SPÖ eine kleinere Partei, wie die liberalen Neos, die bei der
Wahl 9,2 Prozent erreichten. Die Grünen, derzeit Juniorpartner
in einer Koalition mit der ÖVP, rutschen auf 8,2 (2019: 13,9)
Prozent ab und sind damit nur vierstärkste Kraft.
 
FPÖ-ERFOLG ZEICHNETE SICH AB
 
Die FPÖ führte lange Zeit die Umfragen deutlich an. In
den Tagen vor der Wahl hatte sich der Vorsprung zur ÖVP
verringert, weshalb ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet wurde. Bei
der EU-Wahl im Juni ging die FPÖ erstmals bei einer bundesweiten
Wahl als Sieger hervor. Populär sind die Freiheitlichen bei
ihren Wählern vor allem wegen ihrer scharfen Kritik an der
Asylpolitik. In ihrem Wahlprogramm unter dem Titel "Festung
Österreich" fordert die FPÖ etwa einen absoluten Asylstopp und
ein Verbot des politischen Islams. Hinzu kommt, dass Österreichs
Wirtschaft schwächelt und viele Menschen wegen der hohen
Inflation, die über dem EU-Schnitt liegt, frustriert sind.

Mit ihrem Erfolg reiht sich die FPÖ zu anderen Rechtsaußen-Parteien in Europa ein, die derzeit generell im Aufwind sind. In den Niederlanden wurde im Herbst 2023 die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) stärkste Kraft. In Italien regiert seit 2022 Giorgia Meloni von der rechten Partei Fratelli d'Italia. In Ungarn verfolgt Ministerpräsident Viktor Orban und seine Partei Fidesz schon seit vielen Jahren eine Anti-Migrationspolitik. In Deutschland kann die AfD in einigen Bundesländern stark zulegen und ist laut Umfragen zweitstärkste Kraft hinter der Union.

Die rechten Parteien zählten auch zu den ersten
Gratulanten von FPÖ-Chef Kickl. Neben Wilders gratulierte die
Afd-Co-Chefin Alice Weidel sowie der Parteichef der
Rassemblement National in Frankreich, Jordan Bardella. Er
schrieb auf der Plattform X: "Wir sind stolz darauf, gemeinsam
mit unseren Verbündeten in der FPÖ im Europäischen Parlament zu
sitzen, die heute Abend bei den Parlamentswahlen in Österreich
deutlich vorn liegen."

(Bericht von Alexandra Schwarz-Goerlich Redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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