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30.09.2024 /06:18:15
WDHLG-PORTRÄT-Österreichs Rechtspopulist Kickl - Vom "Sprüchemacher" zum Kanzler?

(Wiederholung vom Vortag)
- von Alexandra Schwarz-Goerlich
Wien, 29. Sep (Reuters) - Für die einen ist er ein
Aggressor und Provokateur, für die anderen ein Volksversteher.
Kaum ein Politiker polarisiert sowie der Chef von Österreichs
rechtspopulistischer Freiheitlicher Partei (FPÖ), Herbert Kickl.
Der 55-Jährige, der vor drei Jahren die Führung der EU- und
islamkritischen Partei übernommen hatte, steht am Höhepunkt
seiner Karriere. Bei der Nationalratswahl am Sonntag wurden die
"Blauen", die bereits seit Jahrzehnten zur politischen
Landschaft in Österreich gehören, erstmals bei einer
Parlamentswahl stimmenstärkste Kraft. Damit hat Kickl der Partei
nicht nur zu einem fulminanten Comeback verholfen, er hat es
auch weiter geschafft als seine international bekannteren und
charismatischeren Vorgänger Jörg Haider und Heinz-Christian
Strache. Um in das Kanzleramt einzuziehen, müsste Kickl aber
noch einige Hürden überwinden.

Erstens muss der FPÖ-Chef von Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Das Staatsoberhaupt beauftragt damit traditionell den Wahlsieger. In der Verfassung festgeschrieben ist das nicht. Diesmal könnte es anders kommen: Schon vor über einem Jahr äußerte der Präsident Vorbehalte: "Eine anti-europäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, werde ich nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen."

Zweitens braucht die FPÖ einen Koalitionspartner. Doch für fast alle Parteien ist die lautstark nach Remigration rufende Partei ein "No-Go". Vor allem Rechtsextremisten, aber auch Vertreter der AfD sprechen von Remigration, wenn sie Abschiebung oder Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund meinen. Einzig die ÖVP, die schon mehrfach mit den "Blauen" regiert hat, kann sich eine Neuauflage vorstellen. Die Konservativen sind auch der Wunschpartner der FPÖ, schließlich gibt es in den Programmen zahlreiche Überschneidungen: Von der Migrations- bis hin zur Wirtschafts- und Klimapolitik. Der amtierende Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) schließt allerdings eine Zusammenarbeit mit Kickl selbst aus. Er kenne "viele vernünftige Kräfte in der FPÖ", sagte Nehammer bei einer Fernsehdebatte. Kickl habe sich jedoch radikalisiert und in Verschwörungstheorien verfangen.

Dass die FPÖ ihren Parteichef "opfert", gilt als unwahrscheinlich. In Medien wurde vor der Wahl spekuliert, welchen Posten Kickl abseits der Regierungsbank übernehmen könnte, etwa jenen des Nationalratspräsidenten.

VOM STRATEGEN IM HINTERGRUND ZUM KANZLERKANDIDAT

Kickl, der in einer Kärntner Arbeiterfamilie aufwuchs, war jahrelang eine Art Chefstratege der FPÖ, blieb aber selbst eher im Hintergrund. Nach dem Abitur absolvierte er den Wehrdienst und begann anschließend die Studien Publizistik und Politikwissenschaften sowie Philosophie, die er nicht abschloss. Schon früh begann er für die FPÖ zu arbeiten. 2006 zog er als Abgeordneter ins Parlament ein. Bei seinen Reden zeigt er sich aggressiv und provozierend. Er ist kein brillanter Rhetoriker, fällt aber oft mit hämischen und einprägsamen Sprüchen auf. Er selbst beschreibt sich als Freund der bildlichen Sprache. Als Wahlkampfmanager und Redenschreiber war er für die kritisierten Slogans "Daham statt Islam" oder "Mehr Mut für unser Wiener Blut - zu viel Fremdes tut niemandem gut", verantwortlich. Für Kritiker grenzwertig, er selbst sieht das anders: "Ich glaube, dass ich zwar manchesmal an die Grenze, aber nie darüber hinaus gegangen bin."

SELTENE INTERVIEWS

Kickl gilt zudem als Einzelgänger. Auf Veranstaltungen und Partys lässt er sich im Unterschied zu seinen Vorgängern kaum blicken. Seine Anhänger beschreiben ihn als volksnah und bodenständig. In Vertrauens- und Beliebtheitrankings liegt er allerdings meist auf einem der letzten Plätze. Interviews gibt er selten und wenn, nur ausgewählten Medien.

Ende 2017 wurde er in einer Regierung mit der ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz Innenminister. Damals sorgte er mit Forderungen wie einer nächtlichen Ausgangssperre für Asylwerber für Aufsehen. Zudem sprach er sich dafür aus, "dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht", was landesweit für Empörung sorgte. In diese Zeit fiel auch eine Razzia beim österreichischen Verfassungsschutz BVT, bei der politisch brisante Daten beschlagnahmt wurden.

Den Ministerposten musste Kickl nach eineinhalb Jahren wieder räumen. Auslöser war die "Ibiza-Affäre" von Ex-FPÖ-Chef Strache, der sich vor versteckter Kamera korruptionsbereit zeigte und schließlich den Hut nehmen musste. In weiterer Folge zerbrach die Regierung und die FPÖ stürzte bei der Wahl 2019 ab.

Im Sommer 2021 wurde Kickl Parteichef der FPÖ. Das Comeback der Partei gelang ihm während der Corona-Pandemie. Nachdem Kickl anfangs scharfe Schutzmaßnahmen forderte, wandelte er sich zum größten Kritiker der schwarz-grünen Regierung und ihrer Maßnahmen, wie der Impfpflicht oder dem Lockdown für Ungeimpfte. Kickl sprach damit viele mit der Corona-Politik Unzufriedene an. Zudem profitiert die FPÖ davon, dass viele Wähler wegen der Teuerung frustriert sind, die über dem EU-Durchschnitt liegt.

Populär ist die FPÖ bei ihren Wählern aber vor allem wegen ihrer Haltung beim Thema Migration. Obwohl die Zahl der Asylwerber im vergangenen Jahr stark zurückgegangen ist, fordert sie einen Asylstopp. Den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, dessen Fidesz-Partei mit ihrer Asylpolitik von der EU abgestraft wird, bezeichnete Kickl als Vorbild. Der FPÖ-Chef gilt zudem wie Orban als russlandfreundlich. Er fordert einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg sowie ein Ende der österreichischen Hilfen. Zudem kündigte er ein Veto gegen die westlichen Russland-Sanktionen an. Kickl selbst beschreibt sich als nicht rechtsextrem, sondern als "normal".

(Bericht von Alexandra Schwarz-Goerlich Redigiert von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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