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25.09.2024 /22:54:33
FEATURE-Harmonie für 90 Minuten - Merkel und die CDU

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CDU-Spitze feiert 70. Geburtstag der Kanzlerin a.D.



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Merz und Merkel umschiffen alle Streit-Klippen



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Dabei setzt sich Union deutlich von ihrer Asylpolitik ab



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Merz warnt: Historiker entscheiden am Ende über Gesamtbilanz





- von AndreasRinke
Berlin, 25.Sep - Am Ende kann es sich Friedrich Merz
doch nicht verkneifen: "Bei allem, was dir an Kritik begegnet"
werde doch im Vergleich mit der gegenwärtigen Bundesregierung
deutlich, wie wichtig Stabilität sei, sagt der CDU-Chef zu der
vor ihm sitzendenVorvorvorgängerin Angela Merkel. Das klingt
wie ein vergiftetes Lob für die frühere Kanzlerin auf der
CDU-Feier zu ihrem 70. Geburtstag. Denn seit Wochen brandmarkt
Merz die Ampel-Regierung als die schlechteste Regierung, die
Deutschland je hatte. Da wirkt das Vergleichs-Lob für 16 Jahre
Kanzlerschaft Merkels nicht gerade überwältigend.

Doch die Unions-Gäste in der Akademie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stört dies nicht. Die klare Botschaft des Abends soll Harmonie zwischen der eigenen Ex-Kanzlerin und einer Partei sein, deren jüngeren Vertretern bereits das erwartete Wiedereinrücken in die Regierung aus allen Poren strömt. Dabei weiß Merkel ganz genau, dass im Publikum auch jene Männer sitzen, die sie etwa wegen ihrer Flüchtlingspolitik, früher aber auch wegen ihrer ostdeutschen Herkunft mit allen Mitteln bekämpft hatten - mal hinter, mal vor den Kulissen. Der frühere CSU-Chef Horst Seehofer - übrigens von 2017 bis 2021 Bundesinnenminister mit der Möglichkeit zu EU-Reformen -, konnte zwar am Mittwoch nur von München aus nachtreten. Aber CSU-Chef Markus Söder sitzt ebenso im Publikum wie ihre damaligen Hauptkritiker in der CDU, der heutigen CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und CDU/CSU-Fraktionsvize Jens Spahn.

Aber auch die Kanzlerin a.D. spielt mit, schon weil ihre Bilanz auch wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine in schiefes Licht zu geraten droht. Sie hatte ihren Willen bekommen, der versammelten Parteiführung wie schon zum 50. und dem 60. Geburtstag mit einem Wissenschaftler-Vortrag beglücken zu dürfen. Nach einem Gehirnforscher zum 50. und einem Historiker zum 60. ist diesmal ein Kunsthistoriker an der Reihe. Das genießt sie sichtlich - und sucht keinen Streit. Gleich zu Anfang ihrer Rede betont Merkel in Anspielung auf 2002, als sie Merz vom Vorsitz des CDU/CSU-Fraktionssitzes verdrängte: "Jeder weiß, dass wir beide in unserem politischen Leben Höhen und Tiefen hatten." Aber dann wünscht sie dem neu gekürten Unions-Kanzlerkandidaten, der CDU und dem Land viel Glück und erntet großen Applaus. Sie übergeht großzügig, dass Merz in seiner Würdigung durcheinander bringt, dass ihr die US-Freiheitsmedaille nicht etwa von George W. Bush, sondern von Barack Obama überreicht wurde. Dafür plädiert sie gerade mit Blick auf ihre ostdeutsche Vergangenheit gegen Verzagtheit:" "Veränderung kann Gutes mit sich bringen, das zumindest ist die Erfahrung meines Lebens."

Damit ist die durchaus nicht kleine Klippe für Merkel und Merz an diesem Abend umschifft. Einerseits soll kein Bruch mit Merkel sichtbar werden. Andererseits versucht sich die heutige CDU fast verzweifelt von Merkels Asylpolitik abzusetzen. Sowohl in der CDU als auch CSU wird ihre Politik seit 2015 nämlich als Hauptballast für die heutigen Wahlen vor allem im Osten angesehen. Immerhin hatten bei der Landtagswahl in Brandenburg mehr als 50 Prozent angegeben, der Union bei der Flüchtlingspolitik nicht zu trauen.

Aber dies alles soll an diesem sorgfältig orchestrierten Abend keine Rolle spielen. Der von Merkel ausgesuchte Kunsthistoriker Horst Bredekamp spricht über Licht und Schatten in der Aufklärung - wonach sich jeder seine ihm genehme Botschaften herausziehen kann, etwa dass auch ein gut meinender Staat hart auftreten müsse.

Immerhin erinnert der CDU-Chef auch Merkel mit ihren im November erscheinenden Memoiren daran, wie heikel das Politiker-Dasein ist. Raffinierterweise zitiert Merz dazu die auch von Merkel geschätzte Hannah Arendt: Diese habe gesagt, dass am Ende immer die Geschichtsschreiber und nicht die Politiker das letzte Wort über ihre Arbeit behalten. "Wir können alle Konsequenzen unserer Handlungsentscheidung gar nicht vorhersehen - auch wenn wir nach bestem Wissen und Gewissen handeln", betont er. Und wieder denkt mindestens die Hälfte im Saal an Merkels Agieren in der Flüchtlingskrise 2015.

(Redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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