(Weitgehend neu) |
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Oberstaatsanwalt: Motiv des Mannes weiter unklar |
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CDU fordert Vorratsdatenspeicherung |
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Grüne bemängeln Umgang mit Vorgeschichte von Taleb A. |
- von Sabine Ehrhardt und Alexander Ratz |
Berlin, 22. Dez (Reuters) - Die Staatsanwaltschaft |
Magdeburg hat nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in der |
Hauptstadt Sachsen-Anhalts Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen |
wegen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes beantragt. Der |
50-Jährige sei am Samstagabend dem Haftrichter vorgeführt |
worden, teilte die Polizei am Sonntagmorgen mit. Der Haftrichter |
am Amtsgericht Magdeburg habe Untersuchungshaft wegen fünffachen |
Mordes, mehrfachen versuchten Mordes und mehrfacher gefährlicher |
Körperverletzung angeordnet. Der mutmaßliche Täter sei in eine |
Justizvollzugsanstalt gebracht worden. Die Motive des Mannes |
sind weiter unklar. |
"Die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden laufen auf Hochtouren", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. "Das Bundeskriminalamt ist daran mit seinen Ermittlern beteiligt. Es gilt, alle Erkenntnisse zusammenzufügen, die ein Bild über diesen Täter ergeben, der in kein bisheriges Raster passt." Der Täter habe "unfassbar grausam und brutal gehandelt - in der Begehungsweise wie ein islamistischer Terrorist, obwohl er ideologisch offenbar ein Islamfeind war".
Am Freitagabend war der aus Saudi-Arabien stammende Mann mit einem Pkw in den Weihnachtsmarkt im Zentrum Magdeburgs gefahren. Fünf Menschen wurden dabei getötet, 200 Menschen wurden verletzt, etwa 40 von ihnen schwer oder sehr schwer. Bei den Todesopfern handelt es sich nach Polizeiangaben um einen neunjährigen Jungen sowie um vier Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren. Das Motiv des Mannes ist nach wie vor unklar. Die Bandbreite reicht von einem islamistischen Hintergrund bis hin zu einer islamfeindlichen Gesinnung mit Sympathien für die rechtspopulistische AfD.
Der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens hatte am Samstag von einem Anschlag gesprochen. "Ob es ein Terroranschlag war, wissen wir noch nicht", sagte er. Der Tatverdächtige, ein Arzt, lebt seit 2006 in Deutschland und war den Behörden nicht als Islamist bekannt. Im Gegenteil soll er sich bei zahlreichen Gelegenheiten in den vergangenen Jahren als Kritiker eines radikalen Islams geäußert haben. Er hatte sich für Dissidenten aus Saudi-Arabien eingesetzt und Deutschland wegen seiner Politik den Regimekritikern gegenüber kritisiert und gedroht.
Als Reaktion auf den Anschlag entbrannte erneut eine Diskussion über die Sicherheitspolitik in Deutschland. Nach "Bild"-Informationen soll es deshalb am 30. Dezember eine Sondersitzung des Bundestags-Innenausschusses geben. Zeitgleich soll auch das Parlamentarische Kontrollgremium tagen, wie "Bild" aus Koalitionskreisen erfuhr. Das Gremium kontrolliert unter anderem die Nachrichtendienste des Bundes. Faeser erklärte: "In einer möglichen Sondersitzung des Innenausschusses werden die Spitzen unserer Sicherheitsbehörden und ich erneut über den Ermittlungsstand informieren."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sagte der "Rheinischen Post" (Montagausgabe), es brauche eine Verschärfung beim Schutz der inneren Sicherheit und der Migrationspolitik. "Es reicht bei weitem nicht aus, lediglich mehr Schutzmaßnahmen an Weihnachtsmärkten anzukündigen." So müsse es endlich eine Vorratsdatenspeicherung geben, um potenziellen Tätern schneller auf die Spur zu kommen. "Das Gleiche gilt für Zurückweisungen an den deutschen Grenzen: Sie sind zurzeit die einzige Möglichkeit, um die irreguläre Migration zu stoppen", sagte Frei.
Auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese und Grünen-Politiker forderten mehr Kompetenzen für die Sicherheitsbehörden. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz sagten dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): "Strukturell sehen wir schon seit langem Handlungsbedarf hinsichtlich der Befugnisse der Nachrichtendienste und veränderter gesetzlicher Regelungen, um einen besseren Informationsaustausch zu gewährleisten."
Zugleich kritisierten Mihalic und von Notz die Arbeit der Sicherheitsbehörden und mahnten Aufklärung darüber an, wie mit den Informationen über die Vorgeschichte des mutmaßlichen Täters Taleb A. umgegangen wurde. "Der Tatverdächtige und seine extremistischen Ansichten waren den Behörden offenbar bekannt", sagten sie dem RND. Es gelte jetzt aufzuklären, "wie mit den Informationen in diesem konkreten Fall umgegangen wurde".
(Redigiert von Christian Rüttger Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)