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Merz prescht bei Lieferkettenrichtlinie vor, Bas bei Rente
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Verwirrende Botschaften bei Grenzkontrollen und Zurückweisungen
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Gescheiterte erste Abstimmung bei Kanzlerwahl schürt Misstrauen
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Merz gibt Mittwoch Regierungserklärung ab |
- von Andreas Rinke |
Berlin, 13. Mai (Reuters) - Es dauerte gerade einmal |
sechs Tage, bis Kanzleramtschef Thorsten Frei tief in die Kiste |
der rhetorischen politischen Abwehr-Floskeln für |
Koalitions-Streit greifen musste. "Ich finde dazu keine |
Belegstelle im Koalitionsvertrag, aber das darf man trotzdem |
(...) nicht überbewerten", sagte der Kanzleramtschef am |
Sonntagabend in der ARD zum überraschenden Vorschlag der neuen |
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), nun auch Beamte in die |
gesetzliche Rentenversicherung mit einzubeziehen. Zusammen mit |
der verwirrenden Debatte über die Zurückweisungen an der Grenze |
und der gescheiterten ersten Abstimmung bei der Kanzlerwahl |
ergibt dies einen schwierigen Start der Koalition, die |
ausdrücklich vieles besser machen will als die zerbrochene Ampel |
aus SPD, Grünen und FDP. Wenn Friedrich Merz am Mittwoch die |
erste Regierungserklärung im Bundestag abgibt, dürfte auch der |
neue Kanzler Beschwichtigungsformeln finden müssen. |
"In Rom hat es vier Wahlgänge gebraucht, in Berlin zwei", scherzte Merz am Montag in Anspielung auf die Papst-Wahl. Er setzt darauf, dass der Schreckmoment vom vergangenen Dienstag bald vergessen sein wird, als er als erster Kanzler nicht im ersten Wahlgang gewählt wurde. Weil die Wahl geheim war, bleibt die Unsicherheit, warum 18 Abgeordnete von Union und SPD in der ersten Abstimmung nicht für den CDU-Chef gestimmt hatten. "Nun wird die Nervosität vor den Abstimmungen über die ersten Gesetze wachsen", sagen drei Vertreter der Koalition übereinstimmend.
Für echte Verwirrung sorgte die neue Koalition in ihren ersten Tagen beim Thema Zurückweisungen an der Grenzen - die bis heute anhält. Topvertreter der Union geben unterschiedliche Darstellungen, was an den Grenzen gerade passiert. Wie in der Fiskalpolitik wird die Union von ihren vollmundigen Ankündigungen im Wahlkampf eingeholt. So verkündete der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am ersten Tag seiner Amtszeit, dass die Politikwende exekutiert werde. Zugleich brauchte der neue Kanzler bei seinen Antrittsbesuchen in Warschau und Brüssel keine Frontstellung der EU-Nachbarstaaten und der EU-Kommission gegen seine Regierung. Die Dobrindt-Pressekonferenz am 7. Mai konnte erst mit großer Verspätung beginnen, weil sich der CDU-Chef auf seinem Weg nach Warschau erst noch einmal bei dem CSU-Politiker erkundigen wollte, was dieser eigentlich vor hat.
Und während Dobrindt große Härte vermittelte, schnurrte die Aktion in der Darstellung des Kanzlers wieder zusammen: Man kontrolliere jetzt die Grenzen intensiver, "in etwa so wie während der Fußball-Europameisterschaft im letzten Jahr", sagte Merz vergangenen Freitag in Brüssel. Doch dann widersprach die Bundespolizei. "Unsere Kollegen werden jeden Asyl- und Schutzersuchenden zurückweisen, außer Schwangere, Kranke, unbegleitete Minderjährige", sagte Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Dies sei während der Europameisterschaft ganz anders gewesen.
Nur die verbale Abrüstung von Merz verhinderte wohl, dass es mit dem Koalitionspartner SPD, mit den EU-Nachbarn und der EU-Kommission nicht gleich nach seinem Amtsantritt zum Eklat kam. Denn auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wies beim Antrittsbesuch von Merz dezent darauf hin, dass Deutschland bei bereits stark sinkenden Flüchtlingszahlen harte Grenzkontrollen gar keine "nationale Notlage" nach EU-Recht begründen könne.
Für wechselseitige Verwunderung sorgte bei den neuen Partnern zudem, dass sogar der Kanzler selbst und dann die Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) wenige Tage nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages Positionen bezogen, die dort gar nicht verabredet worden waren. Merz forderte in Brüssel plötzlich die Abschaffung der EU-Lieferkettenrichtlinie - was die SPD auf die Palme brachte, weil im Koalitionsvertrag ausdrücklich nur eine Änderung vereinbart worden war.
Dann kam der Renten-Vorschlag von Bas - ein No-Go für die Union, den übrigens auch der frühere Kanzler Olaf Scholz (SPD) als undurchführbar verworfen hatte. Bas, so die Vermutung der Koalitionären, wollte mit der in der SPD populären Forderung vor allem ihre Kandidatur für den Parteivorsitz absichern.
Das Problem: Zum Start der neuen Koalition, die laut Merz ohnehin nur eine "Arbeitsregierung" und keine politische Liebesbeziehung ist, zeigt schon die erste Woche, wie schwierig die angestrebte geräuschlose Arbeit in Wahrheit werden dürfte. Zumindest Regierungssprecher Stefan Kornelius bemüht sich um Symbole für eine gute Zusammenarbeit: Mit seinen beiden neuen, von SPD und CSU bestimmten Stellvertretern traf er sich im Restaurant mit dem vieldeutigen Namen "Heimlich treu".
(Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)