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04.10.2024 /13:31:44
TOP-THEMA-EU-Kommission will weiter mit China über E-Auto-Zölle verhandeln

(neu: Bundesregierung, Reaktionen Politik, Einzelheiten)

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Brüssel hat erforderliche Unterstützung für Strafzölle



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Insider: Zehn EU-Mitglieder stimmten für Zölle, Berlin dagegen



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Deutsche Autobranche fordert Verhandlungslösung
 
- von Philip Blenkinsop und Alexander Ratz
Brüssel/Berlin, 04. Okt (Reuters) - Die EU-Kommission
hat nach eigenen Angaben die erforderliche Unterstützung der
Mitgliedstaaten, um die geplanten Strafzölle auf E-Autos aus
China zu verhängen. Zugleich sollen die Verhandlungen mit der
Regierung in Peking fortgesetzt werden, wie die Brüsseler
Behörde am Freitag nach der entscheidenden Abstimmung der 27
EU-Staaten mitteilte. Das chinesische Handelsministerium
forderte die EU staatlichen Medien zufolge auf, die Einführung
der Zölle zu verschieben, um einen Handelskonflikt zu vermeiden.
Die Bundesregierung stimmte nach Angaben aus diplomatischen
Kreisen gegen die Verhängung der Zölle. Aus Koalitionskreisen
hatte es geheißen, Bundeskanzler Olaf Scholz habe von seiner
Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und das Nein gegen die
Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock von den Grünen
durchgesetzt.

In dem vorliegenden Vorschlag sind zusätzliche Einfuhrzölle auf in China hergestellte Elektro-Autos von bis zu 35 Prozent vorgesehen. Betroffen sind auch deutsche Autobauer - BMW baut den elektrischen Mini in China und importiert ihn in die EU, Volkswagen das Modell Cupra Tavascan. Die Abgaben kommen zu den üblichen EU-Importzöllen von zehn Prozent für Autos hinzu und würden ab Ende Oktober greifen. Die EU wirft China vor, die Produktion von E-Autos massiv zu subventionieren und so den europäischen Autobauern mit billigen Exporten unfaire Konkurrenz zu machen. Die deutschen Autobauer sind allerdings vehement gegen Strafzölle, weil sie Vergeltungsmaßnahmen von China fürchten, die ihre Geschäfte auf dem wichtigen Absatzmarkt beeinträchtigen könnten.

KEINE QUALIFIZIERTE MEHRHEIT GEGEN ZÖLLE

Volkswagen <VOWG_p.DE>, BMW <BMWG.DE>, Mercedes <MBGn.DE> und der Autoverband VDA forderten deshalb am Freitag die Fortsetzung der Verhandlungen der EU-Kommission mit China. "Die heutige Abstimmung ist ein fatales Signal für die europäische Automobilindustrie", erklärte BMW-Chef Oliver Zipse. "Jetzt braucht es eine schnelle Verhandlungslösung." Mercedes erklärte: "Wir sind überzeugt, dass Strafzölle die Wettbewerbsfähigkeit einer Branche langfristig verschlechtern." An der Börse legten die Aktien europäischer Autohersteller wegen der Ankündigung weiterer Gespräche zu.

Wie Reuters von Insidern erfuhr, sprachen sich in der Abstimmung zehn EU-Mitglieder für die Zölle aus, fünf stimmten dagegen und zwölf enthielten sich der Stimme. Frankreich wollte für die Verhängung der Einfuhrzölle votieren, die französischen Autobauer Renault <RENA.PA> und Stellantis leiden besonders unter der Billigkonkurrenz aus China, gleichzeitig ist China als Absatzmarkt für sie nicht so wichtig wie für die deutschen Autobauer. Zur Verhinderung der Strafzölle hätte eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten - mindestens 15 Länder, die zusammen auch 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen - dagegen stimmen müssen. Spanien enthielt sich der Stimme.

Die Regierungskoalition in Berlin war sich bei dem Thema Zölle nicht einig. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb nach der Abstimmung in Brüssel auf der Plattform X: "Die @EU_Commission von Ursula von der Leyen sollte trotz des Votums für mögliche Strafzölle gegen China keinen Handelskrieg auslösen." Eine Verhandlungslösung werde gebraucht. "Ich setze auch auf @_FriedrichMerz, seiner Parteifreundin zu erläutern, was hier auf dem Spiel steht", ergänzte der FDP-Chef im Hinblick darauf, dass Merz wie von der Leyen der CDU angehören.

"SPALTET UND SCHWÄCHT EUROPA"

Aus den Reihen der Grünen kam Kritik am Abstimmungsverhalten der Bundesregierung. "Die Entscheidung von Kanzler Scholz ist falsch. Er spaltet und schwächt damit Europa in einer schwierigen Lage und nimmt der Kommission die nötige Stärke für Verhandlungen", sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch der "Rheinischen Post". "Wir wollen eine starke Automobilindustrie in Deutschland und Europa. Dazu gehört, dass wir nicht akzeptieren, wenn China versucht, mit unlauteren Mitteln und sehr viel Geld unsere Unternehmen kaputt zu machen."

CDU/CSU warnten vor einem massiven Handelskonflikt. Der Obmann im Verkehrsausschuss des Bundestages, Christoph Ploß (CDU), sagte der "Rheinischen Post": "Wenn wir jetzt einen Wettbewerb um immer mehr Zölle bekommen, schadet das am Ende jedem einzelnen Land." Ein Handelskonflikt müsse verhindert werden. "Die Bundesregierung muss diese Position klar und eindeutig in Brüssel vertreten. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Zölle", mahnte Ploß.

Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie BDI, Tanja Gönner, erklärte in einer ersten Reaktion: "Der Beschluss zu den Ausgleichszöllen im Markt für Elektroautos darf auf keinen Fall das Ende der Gespräche bedeuten." Die EU-Kommission müsse im Umgang mit China "ein Gleichgewicht aus Schutz und Offenheit" finden. "Damit handelspolitische Schutzinstrumente ausbalanciert implementiert werden, ist eine enge Abstimmung mit der europäischen Wirtschaft essenziell", betonte Gönner. "Der BDI fordert deshalb, dass die EU-Kommission betroffene europäische Unternehmen in Untersuchungen früher und enger einbindet als das im Fall der Elektroautos der Fall war."

(Redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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