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Was passiert, wenn Russland keine Waffenruhe akzeptiert?
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Merz: Größte diplomatische Offensive zur Ukraine seit Monaten
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Stillschweigend kassieren Europäer frühere Positionen ein |
- von Andreas Rinke |
Berlin, 11. Mai (Reuters) - Wenn Emmanuel Macron |
besonders zufrieden mit sich ist, lässt sich dies leicht an |
seinen Social Media-Accounts erkennen. Jetzt veröffentlichte der |
französische Präsident auf Instagram und X ein Foto, das seinen |
Anruf bei US-Präsident Donald Trump am Samstag dokumentiert: |
Macron sitzt im Präsidentenpalast in Kiew auf einer Couch, er |
ist eng umringt von wichtigen europäischen Verbündeten, zu denen |
auch Kanzler Friedrich Merz gehört - sein Handy liegt auf dem |
Tisch, damit alle mithören können. Aus Sicht der Europäer |
bewirkt unter anderem dieses Einheit demonstrierende Telefonat, |
dass nun neuer Druck auf Russlands Präsident Wladimir Putin |
aufgebaut wird. |
Beim überraschenden, gemeinsamen Besuch von Merz, Macron, dem britischen Premierminister Keir Starmer und Polens Ministerpräsident Donald Tusk beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj war die Erleichterung groß, dass die Supermacht und die Europäer nun endlich wieder an einem Strang zu ziehen scheinen. Gemeinsam fordert man eine 30-tägige bedingungslose Waffenruhe, verbunden mit der ausdrücklichen Drohung harter neuer Sanktionen gegen Russland und einer Ausweitung der Waffenlieferungen an die Ukraine, wenn Putin nicht mitspielt. "Dies ist die größte diplomatische Initiative, die es in den vergangenen Monaten, wenn nicht Jahren, gegeben hat, um den Krieg in der Ukraine zu beenden", sagte Merz am Samstagabend in den ARD-"Tagesthemen" - am Tag fünf seiner Kanzlerschaft.
Putin reagierte prompt und bot am Sonntag direkte Verhandlungen mit der Ukraine an. Die Frage ist nur, wohin das führt. Denn Putins Gegenvorschlag wiesen Merz, Macron und Selenskyj erst einmal zurück: Keine Gespräche, wenn die Kämpfe zuvor nicht aufhören.
Bereits in Kiew gab es unterschiedliche Einschätzungen, wer und was die neue Dynamik nach drei Jahren Krieg in der Ukraine eigentlich ausgelöst hat. Macron, der die als narzisstisch beschriebene Persönlichkeit Trump schon aus dessen erster Amtszeit kennt, dankte ausdrücklich Trump für den Vorschlag einer 30-tägigen Waffenpause. Starmer sah die Urheberschaft dagegen zunächst bei Selenskyj. Der neue Bundeskanzler wiederum hält sich zugute, innerhalb weniger Tage die Idee eines gemeinsamen Besuchs in Kiew mit initiiert zu haben. Am Ende lobten alle zusammen den US-Präsidenten, den man unbedingt wieder an der Seite der Ukraine-Unterstützer braucht.
Die Situation gilt als günstig. Fast alle Anwesenden in Kiew haben laut einem EU-Diplomaten in eigenen Telefonaten mit Trump in den vergangenen Tagen gespürt, dass der US-Präsident gerade unzufrieden mit Putin ist. Macrons Anruf sollte Trump auch demonstrieren, dass die Europäer - einschließlich Selenskyj - mit einer Stimme sprechen.
Die Begeisterung über das gelungene Signal der Einheit in Kiew verdeckt aber, dass Trump tatsächlich bereits eine entscheidende Kurskorrektur der Politik der Europäer bewirkt hat. Vor dem Amtsantritt des US-Präsidenten war die erklärte Einschätzung noch gewesen, dass ein Waffenstillstand das Risiko birgt, dass russische Gebietseroberungen in der Ukraine de facto akzeptiert würden. Unter Kanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden hieß es deshalb ausdrücklich noch, man müsse die Ukraine militärisch so stärken, dass sie aus einer Position der Stärke mit Russland verhandeln könne.
Davon ist seit Trump keine Rede mehr. Seit die neue US-Regierung mit dem Ende der Waffenlieferungen drohte und sogar anregte, einige russische Annexionen anzuerkennen, sind die Europäer in der Defensive. Jetzt argumentiert auch Merz lieber mit einer langen Linie: "Putin wird irgendwann erkennen müssen ? vielleicht dauert das noch etwas ?, dass er diesen Krieg mit militärischen Mitteln nicht gewinnen kann", sagte er den Sendern RTL/ntv. Auch in Kiew ändert sich die Einstellung, alles klingt bescheidener. Selenskyj bedankte sich am Samstag dafür, dass die USA immerhin die für die Kriegsführung wichtigen Geheimdienstinformationen des US-Militärs nicht wie angedroht gestoppt hätten.
In der kommenden Woche wird es nun zum Schwur kommen - auf beiden Seiten des Atlantiks: Die Europäer müssen entscheiden, ob sie wirklich harte neue Sanktionen verhängen sollen, wenn Putin statt der Waffenruhe nur Direktgespräche mit der überfallenen Ukraine will. Um Wort halten zu können, müssten sie dies gegen Russland-nahe EU-Regierungschefs in Ungarn und der Slowakei durchdrücken. US-Präsident Trump muss entscheiden, ob er bei einer Eskalation wirklich an der Seite der Europäer steht. Eigentlich entsprang die Waffenruhe-Forderung auch dem Kalkül in Berlin, Paris und London, dass Trump im Falle einer Ablehnung Putins endlich erkennt, dass der russische Präsident gar nicht an einem Frieden mit der Ukraine interessiert ist.
Das Problem: Am Ende könnte dem US-Präsidenten Putins Gesprächsangebot aber reichen, weil er vor allem ein Ende des Krieges will - notfalls auch unter Bedingungen, die die Ukraine und die Europäer bisher ablehnten.
(Redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)