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15.10.2024 /13:56:02
FOKUS 1-Offener Streit zwischen FDP und Grünen wegen Steuern und Sozialabgaben

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FDP-Chef Lindner empört Grüne



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Widerstand gegen Anhebung von Rechengrößen in Sozialversicherung



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Lindner will steuerliche Entlastungen durchsetzen



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Kabinett tagt am Mittwoch: Entscheidung zu Sozialabgaben offen





(durchweg neu mit Stimmen von FDP und Grünen, Reaktionen zudem vom VdK und aus Union)

Berlin, 15. Okt (Reuters) - In der Ampel-Koalition ist
neuer Streit über eigentlich gemeinsam geplante Vorhaben
entbrannt. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner warf
den Grünen am Dienstag vor, Pläne zur steuerlichen Entlastung zu
blockieren. Die Grünen forderten Lindner wiederum auf, seinen
Widerstand gegen eine von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
vorgelegte Anhebung der Rechengrößen in der Sozialversicherung
aufzugeben.

"Die Grünen sollten Respekt vor den Steuerzahlern zeigen", schrieb Lindner im Kurznachrichtendienst X. Der Bundestag könnte noch diese Woche Klarheit schaffen. "Solange keine Klarheit besteht, dass wir die Steuerzahler von der Kalten Progression befreien, kann es keine Anpassung der Bemessungsgrenze bei den Sozialbeiträgen geben", sagte Lindner zu "Bild". In Kreisen des Finanzministeriums hieß es zudem, es müsse eine vollständige Beseitigung der Kalten Progression geben. Zukünftig sollte diese mit einem "Tarif auf Rädern" automatisch erfolgen. Die Kalte Progression entsteht, wenn das Steuersystem nicht an die Teuerung angepasst wird. Steuerzahler können dann etwa bei Lohnerhöhungen in eine höhere Steuerklasse rutschen und am Ende eine geringere Kaufkraft haben als vorher.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der automatische Ausgleich der Inflation in der Einkommensteuer sei eine Frage der Gerechtigkeit. "Das steht den Menschen in unserem Land zu. Der Staat darf sich nicht zulasten seiner Bürger bereichern." Das werde die FDP in der Ampel deutlich machen.

Die Grünen befürchten ihrerseits höhere Beitragssteigerungen in der Kranken- und Rentenversicherung für kleine und mittlere Einkommensbezieher, wenn Lindner die strittige Verordnung nicht freigeben sollte. "Das liegt seit Wochen im Kabinett und wird nicht beschlossen", klagte die Co-Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann. Die Anpassung der Rechengrößen sei zentral für Arbeitnehmer. Es brauche jetzt schnell Klarheit. Am Mittwoch tagt das Kabinett turnusgemäß. Der Grünen-Politiker Andreas Audretsch warf Lindner eine Eskalation vor. Montagabend habe der FDP-Chef die Verordnung noch freigegeben, am Dienstag seine Zustimmung wieder zurückgezogen. "Das ist kein verlässliches Regieren."

UNION: LINDNER MITSCHULD AN HÖHEREN SOZIALBEITRÄGEN

Mit der Verordnung sollen die Beitragsbemessungsgrenzen in der Renten- und Krankenversicherung jährlich an die Lohnentwicklung angepasst werden. Für 2025 bedeutet dies aber eine ungewöhnlich starke Erhöhung, da das Arbeitsministerium eine Lohnzuwachsrate für 2023 von rund 6,4 Prozent zugrundelegt. Bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenzen werden von den Löhnen Beiträge an die Sozialversicherungen abgezogen. Für den Anteil der Entgelte darüber werden keine Sozialabgaben fällig. Durch die Anhebung müssen Gutverdiener mehr zahlen, weil dann ein größerer Teil ihres Lohns unter die Sozialabgabenpflicht fällt.

Dem Sozialverband VdK zufolge riskiert Lindner in der Rentenversicherung eine Beitragssatzerhöhung für alle. Wenn die Beitragsbemessungsgrenze nicht wie geplant angehoben werde, "würden der Rentenkasse Mehreinnahmen von rund zwei Milliarden Euro entgehen", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele zu Reuters. "Die Deutsche Rentenversicherung müsste dem mit einem allgemeinen Beitragssatzanstieg von 0,1 Prozentpunkten entgegensteuern."

Mathias Middelberg, Haushaltsexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, warf der FDP vor, sich an stetig steigenden Sozialbeiträgen zu beteiligen. "Der von Lindner im Steuerfortentwicklungsgesetz geforderte Ausgleich der Kalten Progression bedeutet lediglich die Verhinderung inflationsbedingter Mehrbelastungen durch Steuern. Eine echte Entlastung ist damit nicht verbunden, lediglich ein Kaufkrafterhalt." Im Gegenzug biete Lindner seine Zustimmung an für höhere Sozialabgaben durch Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze.

(Bericht von Andreas Rinke, Holger Hansen, Alexander Ratz und Christian Krämer Redigiert von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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