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26.09.2024 /13:36:41
FOKUS 1-Bundestag beschließt Bürokratieabbau - "Tropfen auf dem glühenden Stein"

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Ampel plus Union stimmen für Gesetzentwurf

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Hotel-Meldescheine werden abgeschafft

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Aufbewahrungspflichten für Buchungsbelege werden verkürzt

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Wirtschaft: Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus

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Justizminister verspricht weitere Entlastungen
 
(neu aufgemacht mit Reaktionen aus der Wirtschaft)
Berlin, 26. Sep (Reuters) - Die Wirtschaft hält den vom
Bundestag beschlossenen Bürokratieabbau für nicht weitreichend
genug. Das Gesetz bleibe hinter den Erwartungen der Unternehmen
und den Erfordernissen für einen attraktiven Standort zurück,
teilte der Industrieverband BDI am Donnerstag in Berlin mit.
Andere Wirtschaftsvertreter äußerten sich ähnlich. Zwar wurde
ein Schritt in die richtige Richtung attestiert, der aber an
anderer Stelle durch zusätzliche Bürokratie wieder
zunichtegemacht werde. Unter anderem soll für deutsche
Staatsangehörige in Hotels die Meldepflicht entfallen, zudem
sollen Buchungsbelege nur acht statt zehn Jahre aufbewahrt
werden müssen.

Im Bundestag stimmten die Ampel-Fraktionen von SPD, Grünen und FDP für den Gesetzentwurf. Auch die Union als größte Oppositionspartei votierte dafür. Die AfD enthielt sich. Der Bundesrat muss dem Vorhaben noch zustimmen.

"Allein Informationspflichten nach nationalem Recht kosteten Unternehmen Anfang 2024 66,5 Milliarden Euro jährlich", sagte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Die kleinteiligen Maßnahmen seien ein Tropfen auf einen inzwischen glühenden Stein. "Von über 400 konkreten Entlastungsvorschlägen wurde nur ein Bruchteil umgesetzt." Der Handwerksverband ZDH betonte, es gebe keinen Befreiungsschlag. Neue Belastungen würden sich bereits aus absehbaren Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit ergeben. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sprach von einem Schritt in die richtige Richtung. "Allerdings werden zur gleichen Zeit in Brüssel und auch in Berlin neue Gesetze auf den Weg gebracht, die im Zweifel ein Vielfaches an zusätzlichen bürokratischen Belastungen mit sich bringen."

Vorgesehen ist auch, dass Betriebskostenabrechnungen digitalisiert werden. Im Aktienrecht soll es künftig ausreichen, Beschlüsse von Hauptversammlungen, die sich auf Vergütungen beziehen, im Internet zu veröffentlichen. Vollständig digitale Arbeitsverträge werden möglich. Die SPD-Rechtspolitikerin Zanda Martens sagte Reuters, im Gewerbemietrecht könne dann vieles online erledigt werden. "Es bedeutet zugleich, dass Kündigungen im Gewerbemietrecht aufgrund von Schriftformmängeln künftig nicht mehr möglich sind." Das schütze Kleinstgewerbetreibende. Gestrichen wurde im parlamentarischen Verfahren wegen Datenschutzbedenken die ursprünglich vorgesehene Regelung, dass Reisende die Option bekommen sollten, bei der Flugabfertigung Reisepässe digital vorzuzeigen.

ENTLASTUNGSVOLUMEN KNAPP EINE MILLIARDE EURO

Eine überbordende Bürokratie gilt als bedeutender Hemmschuh für die deutsche Wirtschaft. Im Regierungsentwurf wurde das Entlastungsvolumen auf 944 Millionen Euro beziffert. Der Staat rechnet mit einem Steuerausfall von 200 Millionen Euro pro Jahr.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte, die Ampel habe die Trendwende eingeleitet. Zusammen mit weiteren Maßnahmen würden Betriebe um fast 3,5 Milliarden Euro pro Jahr entlastet. "Im Fokus steht dabei der Kampf gegen die Zettelwirtschaft." Weitere Schritte müssten folgen. Hier sei auch Brüssel gefragt. Die meiste Bürokratie komme von der EU-Kommission. Die DIHK lobte das Ziel der Ampel zu verbindlichen Praxis-Checks bei der Gesetzgebung und einem jährlichen Bürokratieentlastungsgesetz.

Der Hotelverband IHA teilte mit, die Papier-Meldescheine beim Check-in seien zum Inbegriff überflüssiger Bürokratie geworden. "Nun sollte umgehend auch eine zeitgemäße Alternative für unsere ausländischen Gäste in Angriff genommen werden." Der Digitalverband Biktom glaubt zwar an künftig weniger Papier und mehr digitale Prozesse. "Allerdings bleiben einige nicht nachvollziehbare Ausnahmen." So gelte ausgerechnet für Praktikantenverträge weiterhin die Schriftform.

Die Nichtregierungsorganisation Finanzwende fürchtet schwere Nebenwirkungen des Gesetzes. Es wird demnach dazu führen, dass Strafermittlungen wegen Steuerhinterziehung in sogenannten CumCum-Fällen quasi unmöglich werden. Hintergrund ist die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Belege und Rechnungen um zwei Jahre. Damit fehlten wichtige Beweismittel. Beschlossen wurde im Bundestag aber, dass für Personen und Firmen unter Aufsicht der BaFin die neue Regelung erst ein Jahr später greift.



(Bericht von Christian Krämer, Mitarbeit von Andreas Rinke. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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