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09.10.2024 /16:33:23
SPOTANALYSE-Ökonomen zur Tarifforderung im Öffentlichen Dienst

Berlin, 09. Okt (Reuters) - Die Gewerkschaften fordern für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen in der anstehenden Tarifrunde acht Prozent mehr Geld, mindestens aber 350 Euro monatlich. Analysten sagten zu den Forderungen in ersten Reaktionen:

CYRUS DE LA RUBIA, CHEFÖKONOM HAMBURG COMMERCIAL BANK:

"Die Inflation ist zwar in Deutschland auf unter zwei Prozent gefallen, aber das hat erwartungsgemäß Verdi nicht davon abgehalten, eine sehr robuste Lohnforderung von acht Prozent zu stellen. Das ist insofern nachvollziehbar, als die Geldentwertung vielen privaten Haushalten immer noch in den Knochen steckt. Stellt man beispielsweise den Vierjahresvergleich an, sind die Preise heute knapp 20 Prozent höher als Ende 2020. Im Zeitraum 2000 bis 2022 lag die Vierjahresinflation niemals über neun Prozent. Insofern sieht Verdi hier offensichtlich noch Nachholbedarf. Für die Bundesregierung sind diese Forderungen dennoch eine besondere Herausforderung. Auf der einen Seite steht die angespannte Haushaltslage, auf der anderen Seite rückt allmählich auch die Bundestagswahl näher, da möchte man sich auch nicht unbedingt Gegner schaffen. Die Zeit der überdurchschnittlichen Lohnabschlüsse dürfte noch nicht vorbei sein, trotz der niedrigen Inflation.

Die Argumentation von Verdi, man tue mit den höheren Löhnen etwas für die Wirtschaft, da höhere Löhne den Konsum ankurbelten, ist ein altbekanntes Argument. Arbeitgeber aus der Privatwirtschaft, auf die Tarifvereinbarungen im öffentlichen Sektor auch einen Einfluss haben, sehen das naturgemäß anders. Denn sie sehen vor allem die Gefahr, dass ihre Kosten aus dem Ruder laufen. Dazu kommt, dass die Beschäftigten trotz der Reallohnsteigerungen ihr Geld lieber beiseite gelegt haben, als es auszugeben, die Sparquote ist deutlich gestiegen."

THOMAS GITZEL, CHEFVOLKSWIRT VP BANK:

"Verdi und der Deutsche Beamtenbund gehen mit einer sportlichen Forderung in die neue Tarifrunde. Acht Prozent mehr Lohn beziehungsweise mindestens 350 Euro möchten die Gewerkschaften für die Bediensteten bei Bund und Kommunen. Angesichts klammer Kassen dürften die Lohnforderungen nur schwer durchsetzbar sein. Doch der Personalmangel in Rathäusern und in den Schulen schadet schon heute der Wirtschaft.

Der öffentliche Dienst muss deshalb attraktiver werden, dazu gehört auch eine wettbewerbsfähige Entlohnung. An höheren Verdiensten führt deshalb kein Weg vorbei. Am Ende der schwierigen Tarifverhandlungen dürfte ein deutliches Lohnplus zu Buche stehen - allerdings werden es keine acht Prozent sein. Letzteres gibt die schwache konjunkturelle Situation und die daraus resultierenden geringeren Steuereinnahmen nicht her."

(Bericht von Klaus Lauer, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich an berlin.newsroom@tr.com)

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