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22.01.2025 /11:16:24
HINTERGRUND-5 Jahre Corona - Vom Schreckgespenst zum beherrschbaren Virus

- von Patricia Weiß -

Frankfurt, 22. Jan (Reuters) - Fünf Jahre sind vergangen, seit am 27. Januar 2020 der erste Fall von Covid-19 in Deutschland registriert wurde: Ein Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto infizierte sich bei einer Kollegin, die aus China angereist war.

Wenige Wochen zuvor hatte eine neue Viruserkrankung in China die Weltgesundheitsorganisation (WHO) alarmiert, die dann am 30. Januar eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite ausrief. Das Coronavirus SARS-CoV-2 und die Krankheit Covid-19 entwickelten sich zu einer Pandemie, die das Leben von Milliarden Menschen veränderte. Laut WHO haben sich bis heute weltweit offiziell mehr als 777 Millionen Menschen infiziert, davon 38,4 Millionen in Deutschland. Über 186.700 Menschen starben allein in der Bundesrepublik.

Experten wie die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek gehen davon aus, dass fast die gesamte Weltbevölkerung schon mal infiziert war. "Nur wer völlig isoliert lebt, wird einer Ansteckung entgangen sein", sagte die Medizinerin jüngst im "FAZ"-Interview.

Fünf Jahre später stellt sich die Frage, was von der Pandemie bleibt und wie gut Deutschland für künftige Gesundheitskrisen gerüstet ist. Reuters sprach dazu mit zwei ehemaligen Mitgliedern des Corona-Expertenrats der Bundesregierung: Christian Karagiannidis, Leiter des Ecmo-Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim und Lars Kaderali, Direktor des Instituts für Bioinformatik der Universitätsmedizin Greifswald sowie dem Immunologen Carsten Watzl von der Technischen Universität Dortmund und der Epidemiologin Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, die auch Mitglied der Ständigen Impfkommission ist.

WIE GEFÄHRLICH IST CORONA NOCH?

Covid-19 hat sich nach Einschätzung der Experten von einer globalen Bedrohung zu einem beherrschbaren Virus entwickelt. Karagiannidis beschreibt es als "nerviges Virus", das zwar weiter Ausfälle im Arbeitsalltag verursacht, aber die Krankenhäuser nicht mehr überfordert. "Für die Krankenhäuser ist es im Prinzip ein Virus wie jedes andere auch geworden", erklärt er. Watzl vergleicht die Gefährlichkeit mit der der Grippe und betont, dass gesunde Erwachsene unter 60 Jahren in der Regel nicht im Krankenhaus landen. Für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen bleibe es gefährlicher, weshalb für diese eine Impfung empfohlen werde. Lange bestätigt, dass Corona inzwischen zu den saisonalen Atemwegsinfektionen gehört, auch wenn die Vorhersagbarkeit der Wellen noch schwieriger als bei der Influenza sei.

WIE STEHT ES UM LONG COVID?

Long Covid bleibt eine Herausforderung, obwohl das Risiko durch Immunität und Impfung reduziert wurde. Kaderali hebt hervor, dass bei 10 bis 30 Prozent der Infektionen Langzeitfolgen auftreten können. Er betont, dass Impfungen auch gegen Long Covid schützen und das Risiko verringern. Watzl ergänzt, dass das Risiko mit den Omikron-Varianten etwa halbiert wurde, aber die Situation für Betroffene weiter unbefriedigend sei: "Weil wir nicht genau die Ursachen kennen und damit auch keine gezielte Therapie und Heilung anbieten können." Hier gebe es erheblichen Nachholbedarf. Lange fordert weitere Forschung, um Therapien zu entwickeln, die auch für andere Syndrome hilfreich sein könnten, die nach Infektionen auftreten können.

WAS SIND DIE WICHTIGSTEN LEHREN AUS DER PANDEMIE?

Eine zentrale Lehre ist die Bedeutung der Vorbereitung. Kaderali betont die Notwendigkeit von Vorratshaltung, etwa von Masken und Schutzkleidung, sowie der Digitalisierung. "Da hat die Pandemie die Defizite wie ein Brennglas gezeigt." Karagiannidis hebt die Zusammenarbeit der Krankenhäuser hervor: "Wir haben gelernt, dass es je nach Region sinnvoll ist, Patienten in Zentren zu verlegen. Außerdem haben wir erkannt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit dem ambulanten Bereich ist - etwas, das ich vor der Corona-Pandemie in dieser Form nicht erlebt habe." Diese Zusammenarbeit habe geholfen, die enormen Herausforderungen zu bewältigen.

Watzl sieht die schnelle Entwicklung von Impfstoffen als Schlüssel zum erfolgreichen Management der Pandemie: "Das Impfen hat uns letztendlich aus der Pandemie herausgeführt." Lange betont die Bedeutung nachhaltiger Forschungsinfrastrukturen, die für künftige Gesundheitskrisen entscheidend seien.

WELCHE FEHLER WURDEN GEMACHT?

Rückblickend sehen die Experten auch Fehler. Kaderali nennt den Umgang mit Ungeimpften und die gesellschaftliche Spaltung als problematisch, gibt aber auch zu bedenken: "Es ist sehr einfach, im Nachhinein Dinge zu kritisieren." Er betont deshalb, dass man aus der Nachbetrachtung lernen sollte. Karagiannidis kritisiert die lange Dauer mancher Maßnahmen: "Bei einigen Maßnahmen während der Pandemie haben wir sehr lange gebraucht, um sie wieder zurückzufahren, besonders wenn man daran denkt, wie lange die Schulen geschlossen waren oder es Kontaktbeschränkungen gab. Ich denke, es wäre besser gewesen, die Maßnahmen schneller zurückzunehmen." Watzl betont die Balance zwischen Gesundheitsmaßnahmen und deren sozialen sowie wirtschaftlichen Auswirkungen.

WIE GUT IST DEUTSCHLAND FÜR DIE NÄCHSTE PANDEMIE GERÜSTET?

Die Experten sind sich einig, dass es Verbesserungsbedarf gibt. Kaderali betont den Personalmangel im Gesundheitswesen und sieht in der Digitalisierung ein ungelöstes Problem: "Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich besser geworden ist oder ob wir die gleichen Probleme bei der nächsten Pandemie wieder hätten."

Karagiannidis fordert eine Umgestaltung der Krankenhauslandschaft, insbesondere die Zusammenlegung kleinerer Krankenhäuser zu größeren Zentren. "Die nächste Bundesregierung muss nochmal wirklich grundlegende Reformen angehen, um die Kosten im gesamten Gesundheitssystem einzudämmen, und das wird nicht anders gehen, als dass wir zum Beispiel kleinere Krankenhäuser schließen oder zusammenlegen. Aber auch im ambulanten Bereich ist viel, viel aufzuholen."

Watzl und Lange betonen die Notwendigkeit, aus der Pandemie zu lernen und Maßnahmen besser zu bewerten. Lange hebt hervor, dass die neuen Forschungsinfrastrukturen nachhaltig gefördert werden müssten.

VON WELCHEM ERREGER GEHT DAS GRÖSSTE RISIKO AUS?

Die Vogelgrippe wird als eine der größten Bedrohungen angesehen. Watzl warnt vor der Möglichkeit, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar werden könnte: "Wenn es wirklich zu so einer Veränderung kommen würde, hätten wir ein Problem." Karagiannidis beobachtet die Ausbreitung in den USA mit Besorgnis und fordert effektive Eindämmungsmaßnahmen: "Da kann man im Prinzip der Entstehung einer Pandemie in Zeitlupe zugucken, wenn die Amerikaner nicht anfangen, das langsam doch deutlich einzudämmen." Die Experten betonen die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit, um solche Bedrohungen zu bekämpfen. Lange hält eine Influenza-Pandemie für das wahrscheinlichste Szenario: "Darauf müssen wir vorbereitet sein."

(Redigiert von Thomas Seythal)

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