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22.01.2025 /10:30:00
HINTERGRUND-"Viele Fragen noch offen" - Beim Volkswagen-Sparpaket geht es jetzt um Details

- von Victoria Waldersee und Christina Amann
Berlin, 22. Jan (Reuters) -

Großveranstaltungen am Volkswagen-Stammsitz <VOWG_p.DE> in Wolfsburg haben den Auftakt gemacht: Vergangene Woche kamen allein im größten VW-Werk in Deutschland mehr als 1500 Vertrauensleute zusammen, um sich von Betriebsratschefin Daniela Cavallo über die Mammut-Vereinbarung aufklären zu lassen, die Europas größter Autobauer kurz vor Weihnachten mit den Arbeitnehmern abgeschlossen hat. "Viele Fragen dazu sind in der Belegschaft noch offen", sagte Cavallo in einem Interview, das im VW-Intranet veröffentlicht wurde und das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. "Wir müssen jetzt endlich beweisen, dass wir uns als Organisation Volkswagen wirklich dahingehend verändern."

35.000 Arbeitsplätze sollen bei Volkswagen wegfallen, die Mitarbeiter verzichten zeitweise auf Lohnerhöhungen. Im Gegenzug dafür gibt es eine neue Beschäftigungssicherung, und betriebsbedingte Kündigungen sind bis 2030 ausgeschlossen. Der Autobauer will so vier Milliarden Euro sparen. Doch vieles muss noch geklärt werden, wie aus Gesprächen mit Insidern aus dem Konzern, Investoren und Analysten hervorgeht. Eine entscheidende Frage: Gelingt es diesmal tatsächlich, Zehntausende Stellen abzubauen, oder läuft es wie vor zehn Jahren, als nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals schon einmal eine Schrumpfkur verordnet wurde, die dann nie zum Tragen kam.

"Es ist ein dreckiger Deal", sagte Moritz Kronenberger, Autoexperte bei der Fondsgesellschaft Union Investment. "Ich glaube, Oliver Blume ist nach wie vor der richtige Chef und ergreift die richtigen Maßnahmen. Aber innerhalb der nächsten zwei Jahre muss die Kostenstruktur ganz anders aussehen, und Volkswagen muss zeigen, dass es für die Zukunft gerüstet ist und attraktive Produkte bringen kann." Patrick Hummel, Autoexperte bei der UBS, betonte, die Investoren seien ungeduldig, ein Sparplan mit einem Zeitrahmen bis 2030 sei fast inakzeptabel. "Der Markt wird erwarten, dass über die einzelnen Bausteine geredet wird - welchen Effekt sehen wir schon 2025?"

GEMEINSAME SUCHE NACH SPARMÖGLICHKEITEN

An allen Standorten sollen nun das Management und der Betriebsrat gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, wie die Kosten reduziert werden können, sagten zwei mit dem Vorgang vertraute Personen. Bis Ende des Monats sollen nach Informationen aus Gewerkschaftskreisen die Ziele für jeden Standort feststehen, die sogenannten "Side Letters". Wenn sich Betriebsrat und Standortleitung turnusmäßig einmal im Quartal treffen, stehen künftig die Fortschritte bei der Umsetzung der Sparpläne auf der Tagesordnung. Ein VW-Sprecher wollte sich nicht dazu äußern, welche Meilensteine konkret vereinbart wurden.

VW-Markenchef Thomas Schäfer habe darauf bestanden, dass in dem Tarifabschluss die Verantwortung für die Maßnahmen verbindlich geklärt wurden, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Person. Das dürfte auch eine Reaktion auf das Performance Programm mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro sein, das VW Ende 2023 vereinbart und das sich dann doch als nicht ausreichend erwiesen hatte.

"HEILIGE KÜHE"

Für Union-Investment-Experte Kronenberger hat Konzern-Chef Blume den Respekt der Investoren gewonnen, indem er die Beschäftigungssicherung kündigte und erstmals in der Geschichte des Autobauers mit der Schließung eines Werks in Deutschland drohte. "Er ist an die heiligen Kühe gegangen", sagte Kronenberger. Im Unternehmen habe Blume damit Turbulenzen ausgelöst.

Zugleich zeigten sich einige Analysten enttäuscht darüber, dass nun doch alle Standorte erhalten bleiben. "Natürlich ist es Sprengstoff, ein Werk zu schließen", sagte ein Analyst, der nicht genannt werden wollte. "Aber was machen sie mit dem ganzen Platz?" VW lehnte eine Stellungnahme dazu ab, wie hoch die Einsparungen nach dem Kompromiss ausfallen, im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen. Im Januar verteidigte VW-Finanzchef Arno Antlitz den "dezentralen Ansatz", die Kapazitäten zu reduzieren, verwies aber darauf, dass das nur dann funktioniere, wenn zugleich die Produktivität steige. "Der entscheidene Schritt ist es, die Zahl der Autos zu erhöhen, die ein Mitarbeiter produziert. Das ist die Bedingung für weitere Investitionen."

ELEKTRO-GOLF

Dreh- und Angelpunkt in den Plänen ist die neue SSP-Plattform, auf der ab Ende des Jahrzehnts die Elektroautos basieren sollen und die den Durchbruch bringen soll. Nun ist klar: Für die Marke Volkswagen kommt die Plattform mit dem Golf-Nachfolger nach Wolfsburg, dafür muss der Verbrenner-Golf weichen. Er geht nach Mexiko, wo das Werk in Puebla ohnehin schwach ausgelastet ist und zudem nach Aussage eines Insiders mit niedrigen Fabrikkosten glänzt. Zugleich wird das Werk in Zwickau geschrumpft, von bislang zwei Produktionslinien fällt eine weg. Zwickau erhält dafür den Zuschlag für ein Recycling-Zentrum, das ab 2027 den Betrieb aufnehmen soll. Martin Lehmann, Sprecher des Betriebsrats in dem sächsischen Werk sagte, die Belegschaft sei erleichtert, dass das Werk bestehen bleibt. Dabei sei allen bewusst, dass weitere Investitionen nur kommen, wenn die Sparziele erreicht würden. Zwickau stehe im Fabrikkostenvergleich der deutschen Standorte sehr gut dar, müsse aber dennoch besser werden.

In Kraft treten werden die Änderungen bei der Werkebelegung erst in den kommenden Jahren. Sollten die Fabriken ihre Sparvorgaben nicht erreichen, könnten noch Fahrzeuge abgezogen werden, sagte eine mit dem Vorgehen vertraute Person. Auf beiden Seiten wird betont, wie ernst es diesmal mit den Sparbemühungen ist. Die Arbeit bei Volkswagen hat nach dem Mammut-Abschluss im Dezember erst begonnen.

(Bericht von Christina Amann, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter Berlin.Newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder Frankfurt.Newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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