Nachricht


27.10.2024 /15:24:27
TOP-THEMA-Regierungspartei gewinnt Wahl in Georgien - Kritik an "Belarussifizierung"

*

Wahlrechtskommission sieht Georgischer Traum vorne

*

Oppositionsparteien erkennen Wahlergebnis nicht an

*

Westliche Außenpolitiker: EU darf Wahl nicht anerkennen

*

EU besorgt über mögliche Pattsituation
 
(Neu: Mit Reaktionen)
- von Felix Light und Lucy Papachristou und Andreas Rinke
Tiflis/Berlin, 27. Okt (Reuters) - In Georgien hat die
pro-russische Regierungspartei die richtungsweisende
Parlamentswahl gewonnen. Die Partei Georgischer Traum habe nach
Auszählung von mehr als 99 Prozent der Wahlbezirke 54 Prozent
der Stimmen erhalten, teilte die Wahlkommission am Sonntag mit.
Damit steht die Niederlage für die Opposition fest, die einen
klaren EU-Kurs fordert. Beide Lager hatten am Wahlabend den Sieg
für sich beansprucht.

Drei verschiedene Beobachtermissionen - die aus 57 Nationen bestehende Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die gemeinnützigen US-Gruppen National Democratic Institute (NDI) und International Republican Institute (IRI) sowie ein georgischer Wahlbeobachter - berichteten alle von erheblichen Verstößen während der Abstimmung am Samstag. Das Ausfüllen fremder Stimmzettel, Bestechung, Einschüchterung von Wählern und physische Gewalt in der Nähe von Wahllokalen könnten sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben, erklärten die Gruppen am Sonntag.

Die drei Beobachtermissionen hielten sich jedoch alle mit der Behauptung zurück, die Wahlen seien gestohlen oder gefälscht worden - eine Behauptung, die die Oppositionsgruppen dagegen am Sonntag bekräftigten. "Wir sind weiterhin zutiefst besorgt über den demokratischen Rückschritt in Georgien", sagte Antonio López-Istúriz White, der Leiter der Delegation des Europäischen Parlaments bei der OSZE-Mission.

Dagegen riefen westliche Außenpolitiker die EU auf, die Wahlen nicht anzuerkennen. "Diese Wahlen waren weder frei noch fair", schreiben die Außenpolitiker, darunter Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag in einer der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden gemeinsamen Erklärung. "Wir sind sehr besorgt über eine 'Belarussifizierung' des Landes." Wenn die Regierungspartei ihrer Ankündigung Taten folgen lasse, drohe die Verfolgung und das Verbot der Opposition, unabhängiger Medien und kritischer Nichtregierungsorganisationen in Georgien.

"Die EU muss der Regierungspartei deutlich machen, dass sie dies nicht akzeptieren wird und in diesem Fall ein vollständiger Abbruch der Beziehungen folgen wird", mahnen die Parlamentarier. Die Politik der Partei Georgischer Traum sei mit der EU unvereinbar, heißt es in der Erklärung, die von den Vorsitzenden der Auswärtigen Ausschüsse der Parlamente Deutschlands, Litauens, Lettlands, der Ukraine, Kanadas sowie führende Außenpolitiker aus Polen, Italien und Schweden unterzeichnet wurde.

WAHLSIEG FÜR MILLIARDÄR IWANISCHWILI

Auch führende Oppositionelle in Georgien sprachen von Wahlfälschungen und einem Verfassungsputsch der Regierungspartei. Sie wollen das Wahlergebnis nicht anerkennen. Ähnlich äußerte sich Präsidentin Salome Surabischwili, deren Amt sich weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkt. Der politisch und wirtschaftlich einflussreiche Milliardär Bidsina Iwanischwili hatte die von ihm gegründete Partei Georgischer Traum bereits am Samstag zum Gewinner erklärt und sah sich durch vorläufige Ergebnisse der staatlichen Wahlkommission bestätigt.

Die Folgen der Parlamentswahl für den Annäherungsprozess an die EU waren zunächst unklar. Auch der Georgische Traum möchte zwar, dass Georgien der Europäischen Union beitritt. Die EU-Kommission betont aber, dass der Beitrittsantrag des Landes wegen der autoritären Tendenzen der Partei eingefroren ist. Diese hatte sich auch massiv dafür eingesetzt, dass Georgien im Ukraine-Krieg keine klaren Positionen bezieht.

Ein EU-Vertreter sagte Reuters, man sei enttäuscht über das Abschneiden der Opposition. Brüssel sei aber in erster Linie besorgt, dass der Streit über die Rechtmäßigkeit der Wahlen zu einer Pattsituation führen könnte. Das Auswärtige Amt rief alle Parteien in Georgien zur Zurückhaltung auf. Man müsse Gewalt und eine weitere Polarisierung vermeiden, heißt es in einer auf Englisch verbreiteten Mitteilung auf der Plattform X. Der Umgang mit dem Wahlausgang und die Regierungsbildung würden den weiteren Weg Georgiens auf dem europäischen Weg beeinflussen.

Die Regierungspartei in Tiflis hatte zuletzt ein umstrittenes Gesetz über "ausländische Agenten" und ein weiteres zur Einschränkung von LGBT-Rechten durchgesetzt. Beide wurden von westlichen Ländern scharf kritisiert, von russischen Beamten dagegen gelobt. Georgien war eines der prowestlichsten Länder, die aus der Sowjetunion hervorgingen. Russland ist wegen seiner Unterstützung für die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien laut Umfragen in Georgien nicht populär. Russland hatte Separatisten in beiden Gebieten in einem kurzen Krieg 2008 unterstützt und die georgische Armee besiegt.

Vor einer Woche hatte die Republik Moldau in einem Referendum knapp für den Beitritt zur Europäischen Union gestimmt. In Georgien wie auch in Moldau, beides frühere Sowjetrepubliken, gab es Vorwürfe einer massiven russischen Einmischung in die Wahlen.

(Redigiert von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

Hinsichtlich weiterer Informationen und einer gegebenenfalls erforderlichen Offenlegung potenzieller Interessenkonflikte nach § 85 WpHG der für die Erstellung der zugrunde liegenden Finanzinformationen oder Analysen verantwortlichen Unternehmen wird auf das Informationsangebot dieser Unternehmen (Internetseite und andere Informationskanäle) verwiesen.