(Wiederholung vom Vorabend)
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In der Partei gibt es Zweifel
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Seit dem Ampel-Bruch ein Gescheiterter?
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SPD rennt bei Aufholjagd Zeit davon
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Fehlende Alternative und Merz-Probleme könnten ihn retten
- von Andreas Rinke -
Berlin, 12. Nov (Reuters) - Als Olaf Scholz in der Talkshow "Caren Miosga" gefragt wurde, ob er erneut SPD-Kanzlerkandidat werde, sagte er am Sonntagabend nur kurz "Ja". Als Miosga nachfragte, ob er daran je Zweifel gehabt habe, schob er mit einem selbstbewussten Lächeln ein knappes "Nein" hinterher.
Bis zum Bruch der Ampel-Koalition am Mittwoch war dies tatsächlich der Stand: Eine Kanzlerpartei wechselt keine amtierenden Kanzler nach nur einer Legislaturperiode aus. Auch der in Umfragen vorne liegende Verteidigungsminister Boris Pistorius, der als Alternative gehandelt wurde, winkte entschieden ab. Aber einige Punkte der Diskussion haben sich seit dem Koalitionsende für die SPD und für Scholz geändert.
Miosga fragte Scholz mehrfach, ob er als gescheiterter Kanzler dastehe. Immerhin hatte er zu Beginn der Legislaturperiode das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP als "Fortschrittskoalition" bezeichnet - und sich selbst als Einzigen, der die drei überhaupt zusammenbringen könne. Nun ist es vor Ablauf der Legislaturperiode zerbrochen. "Sein" Projekt hielt keine vier Jahre lang - wobei fast egal scheint, ob dies an der FDP lag oder nicht.
Scholz selbst will die Frage nach dem "gescheitert" ebenso wenig gelten lassen wie SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, der auf die Erfolge der Ampel-Regierung verweist. Im Gegenteil: Scholz habe Führungskraft gezeigt, indem er die Ampel beendet habe. "Das zeigt Stärke, nicht Schwäche", betont Miersch und verweist auf mehr als 1000 Parteieintritte seit dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner.
Manche Experten sehen dies anders: "Sicher hängt ihm das Image als Gescheiterter nun an. Das ist ein Nachteil im Wahlkampf", sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Auch der Politologe und SPD-Kenner Gero Neugebauer meint: "Dass die Ampel scheiterte, ist kein Plus in der nötigen Aufholjagd, die die SPD innerhalb kürzester Zeit zu absolvieren hat."
Dazu kommt, dass Scholz nur im ersten Jahr der Ampel-Regierung wirklich vom Amt profitieren konnte. Heute schneidet er in Umfragen bei der Kanzlerpräferenz schlechter ab als Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. Die Ampel war so unbeliebt, dass dies auch Scholz' Werte nach unten zog. Vom "Komakanzler" spricht CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt heute. Das könnte Scholz ausgerechnet den unbestrittenen Pluspunkt gegenüber Merz nehmen - seine Erfahrenheit. "Denn Merz ist ohne Regierungserfahrung eigentlich ein Kanzlerlehrling", sagt Güllner.
Immer wieder hat auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt wie Scholz Siegeszuversicht demonstriert. 2020/2021 waren die SPD-Umfragewerte genauso schwach wie heute. Scholz erzählte zuletzt mehrfach, dass die Fernsehsender damals überlegten, ob sie ihn überhaupt zu den Kanzlerkandidatenrunden einladen sollten. Am Ende gewann die SPD knapp, und er wurde Kanzler. Dazu kommt, dass die SPD selbst bei ihren politischen Gegnern als kampagnenstarke Partei gilt.
Aber jetzt rennt den Sozialdemokraten die Zeit davon. Sie haben anders als 2021 nicht mehr bis September, damit die Werte langsam nach oben kriechen. Die Umfragen der vergangenen Tage deuten bisher nicht auf einen entscheidenden Stimmungsumschwung hin.
"Auch der Vergleich mit 2005 ist schief", meint Forsa-Chef Güllner. Damals hatte Gerhard Schröder rund sechs Prozentpunkte in den letzten Wochen vor der Wahl aufgeholt und nur knapp gegen die Union mit Spitzenkandidatin Angela Merkel verloren. Heute ist der Abstand zwischen SPD und Union größer.
SPD-Generalsekretär Miersch betonte am Montag, er gehe fest davon aus, dass Scholz erneut SPD-Kanzlerkandidat werde. "Daran habe ich ja in all den letzten Wochen auch aus meiner Sicht keinen Zweifel gelassen." Aber es gibt Kritik in der eigenen Partei. So plädiert Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, ein ausgewiesener Scholz-Kritiker, offen für Pistorius als Kanzlerkandidat.
"Olaf Scholz hat jetzt eine große Aufgabe: Boris Pistorius nach vorn zu schieben und selbst zu verzichten", sagt auch der Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Markus Schreiber der "Bild". Und sein Kollege Tim Stoberock fügt hinzu: "Für das Land wäre es das Beste, wenn Olaf dem Parteivorstand jetzt Boris als Kanzlerkandidaten vorschlüge."
Deshalb ist die Lage anders als vor einigen Wochen, als die Durchhalteparolen der Scholz-Unterstützer noch für Ruhe sorgten. "Dennoch dürfte Scholz die Kandidatur nicht mehr zu nehmen sein", vermutet ein hoher SPD-Politiker. Noch immer trägt das Argument, dass Wähler am Ende eben doch den vielleicht nicht sympathischen, aber erfahrenen Scholz wählen - und nicht den impulsiveren, regierungsunerfahrenen Merz - gerade angesichts der Krisenzeiten und der Tatsache, dass Merz laut Umfragen auch nicht besonders beliebt ist.
Dazu kommt laut Güllner, dass es keine echte Alternative gibt. Pistorius werde zwar als Verteidigungsminister parteiübergreifend sehr geschätzt. "Aber der Blick auf ihn könnte sich dramatisch ändern, wenn er die Rollen wechselt." Neugebauer verweist darauf, dass Scholz schon die programmatische Ausrichtung der SPD im Wahlkampf intoniert habe: Schutz der Renten, Kampf für Industriearbeitsplätze - und außenpolitische Bedachtheit in der neuen Trump-Ära und dem Krieg in der Ukraine.
(Redigiert von Thomas Seythal. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)