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13.06.2025 /16:31:03
ANALYSE-Warum Netanjahu im Iran nach langem Warten Fakten schaffen will

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Netanjahus jahrelange Warnungen stießen im Iran auf Spott



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Netanjahu zieht Parallele zu Appeasement gegenüber Hitler



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Schwächung von Hamas und Hisbollah bot Gelegenheit zum Angriff





- von Crispian Balmer
Jerusalem, 13. Jun (Reuters) - Einst wurde Israels
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom Iran mit dem
Hirtenjungen verglichen, der so oft falschen Wolfsalarm gab,
dass ihm niemand mehr glaubte. Jahrzehntelang hatte der
konservative Politiker bei jeder Gelegenheit vor einem Streben
des Iran nach Atomwaffen gewarnt - was die Führung in Teheran
stets bestritt. "Man kann nur einige Menschen so oft zum Narren
halten", spottete 2018 der damalige iranische Außenminister
Mohammed Dschawad Sarif in Anlehnung an ein Zitat des
US-Präsidenten Abraham Lincoln, wonach man nicht alle Menschen
die ganze Zeit zum Narren halten könne.

Am Freitag nahm Netanjahu das Heft selbst in die Hand. Die von ihm befohlenen Luftangriffe zielen nach seinen Angaben darauf ab, den Iran von der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen abzuhalten. Die Islamische Republik bezeichnet den israelischen Staat regelmäßig als Erzfeind und spricht ihm das Existenzrecht ab. Die Führung in Teheran gibt jedoch an, ihr Atomprogramm diene ausschließlich friedlichen Zwecken.

In einer Rede an die Nation zog Netanjahu erneut eine Parallele zur Appeasement-Politik mehrerer Staaten gegenüber Nazi-Deutschland, die dem Diktator Adolf Hitler den Weg zum Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust mit der millionenfachen Ermordung von Juden geebnet hatte. "Vor fast einem Jahrhundert, im Angesicht der Nazis, hat es eine Generation führender Politiker versäumt, rechtzeitig zu handeln", sagte der Regierungschef. "Nach diesem Krieg haben das jüdische Volk und der jüdische Staat geschworen: Niemals wieder. Niemals wieder, dass ist jetzt heute."

Netanjahu, der in jungen Jahren als Soldat in einer Spezialeinheit diente, prägt die israelische Politik seit Jahrzehnten. Erstmals wurde der Likud-Politiker 1996 zum Ministerpräsidenten gewählt. Mittlerweile regiert er mit Unterbrechungen in seiner sechsten Amtszeit und damit so lange wie kein anderer israelischer Regierungschef zuvor.

IRANS VERBÜNDETE GESCHWÄCHT

Stets fuhr Netanjahu einen harten Kurs gegen den Iran - früher allerdings mit begrenztem Handlungsspielraum. Beobachter hatten immer wieder darauf verwiesen, dass ein Angriff Israels auf den Iran sofortige Vergeltung durch dessen Verbündete in Israels unmittelbarer Nachbarschaft nach sich ziehen würden: durch die Hamas im Gazastreifen und die Hisbollah im Libanon. Doch diese Gefahr hat Israel weitgehend beseitigt: Nach dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 ließ Netanjahu deren militärischen Strukturen weitgehend zerschlagen und dann auch die Hisbollah militärisch lähmen. Bereits 2024 wagte Netanjahu Raketenangriffe auf den Iran.

International wie auch innenpolitisch ist Netanjahu umstritten. Dass der Hamas 2023 ihr traumatisch wirkender Großangriff gelang, wird auch Sicherheitsmängeln angelastet, die Netanjahu zu verantworten habe. Wegen möglicher israelischer Kriegsverbrechen im Gazastreifen wurde er vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt. Und im eigenen Land muss er sich einem Gerichtsverfahren wegen Korruptionsvorwürfen stellen.

Netanjahu weist alle Anschuldigungen zurück. Der 75-jährige scheint nun sein eigenes Denkmal vollenden zu wollen. "In künftigen Generationen wird die Geschichtsschreibung vermerken, dass unsere Generation standhaft geblieben ist, rechtzeitig gehandelt hat und unsere gemeinsame Zukunft gesichert hat. Gott segne Israel. Gott segne die Kräfte der Zivilisation, überall", sagte er in seiner Rede vom Freitag.

(Bericht von Crispian Balmer, Alexander Cornwell und James Mackenzie; geschrieben von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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