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17.10.2024 /19:17:47
FOKUS 3-Keine Bundeshilfe für Flugtaxi-Entwickler Lilium

(neu: Verkehrsministerium, mehr Aiwanger, Blume, Aktie)

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Haushaltsausschuss lehnt 50-Millionen-Bürgschaft ab

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FDP schwenkte um - doch Grüne blockierten Einigung

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Bayerisches Start-up Lilium muss nun Alternativen prüfen
 
- von Holger Hansen und Alexander Hübner
Berlin/München, 17. Okt (Reuters) - Nach der Absage für
eine Staatsbürgschaft des Bundes steht die Zukunft des
bayerischen Flugtaxi-Entwicklers Lilium <LILM.O> in Frage. Der
Haushaltsausschuss des Bundestages konnte sich nicht auf eine
Kreditbürgschaft von 50 Millionen Euro einigen. Vor allem die
Grünen blockierten die Hilfen, nachdem die skeptische FDP auf
Druck von Finanzminister Christian Lindner umgeschwenkt war, wie
es in Koalitionskreisen hieß. Das Bundesverkehrsministerium
bedauerte die Absage: Man habe sich für einen verbürgten
KfW-Kredit an Lilium eingesetzt, "um die Technologieführerschaft
in einem Zukunftsfeld in deutscher Hand zu behalten", sagte ein
Sprecher am Donnerstag. Dafür gebe es aber keine
parlamentarische Mehrheit.

Das Start-up hatte fest auf ein 100 Millionen Euro schweres Darlehen der staatlichen Förderbank KfW gesetzt, um die Entwicklung und den Bau des von 30 Elektromotoren angetriebenen Kleinflugzeugs zu finanzieren. Von privaten Investoren - vor allem aus China und den USA - hat Lilium aus Gauting bei München bereits 1,5 Milliarden Euro erhalten. Doch bis zu der für 2026 angepeilten Zulassung fehlen noch einige hundert Millionen. Bayern hatte eine Bürgschaft von 50 Millionen Euro in Aussicht gestellt - unter der Voraussetzung, dass der Bund in gleicher Höhe bürgen würde. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) schloss einen Alleingang aus: "Wenn Bayern jetzt alleine ginge und das geht schief, dann deutet jeder mit Fingern auf uns", sagte er dem Sender RTL. Er warf der Bundesregierung Wortbruch vor.

Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) bezeichnete das Nein als "Desaster für den Standort Deutschland: Länder wie Frankreich hofieren DeepTech-Start-ups mit Milliardenanreizen - Deutschland jagt seine eigenen Gründer vom Hof." Aiwanger hatte sich zunächst skeptisch zu Lilium geäußert, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stimmte das Kabinett aber um. Er machte die Grünen dafür verantwortlich, "wenn deutsche Kreativität in die USA, Frankreich oder nach China abwandert".

Von Seiten der Grünen hieß es, ein Engagement bei Lilium sei angesichts der schwierigen Haushaltslage des Bundes "nicht verantwortbar". Das Flugtaxi sei ein Luxus-Nischenprodukt, das mit hohen technischen Risiken behaftet sei. Lilium sei nicht systemrelevant. Wenn Bayern das Unternehmen unterstützen wolle, könne der Freistaat das selbst tun. Lilium pocht darauf, dass es beim "Lilium Jet" nicht primär um ein Flugtaxi für kurze Strecken gehe, sondern um die Weiterentwicklung des Fliegens mit Elektroantrieb. Später seien auch größere Flugzeuge mit der Technologie denkbar.

Die SPD hätte "dieser klimaneutralen Zukunftstechnologie gern staatlich unter die Arme gegriffen", sagte deren Chef-Haushaltspolitiker Dennis Rohde. "Deutschland kann es sich gerade nicht leisten, dass Industriearbeitsplätze der Zukunft verschwinden." FDP-Haushälter Karsten Klein sagte zu Reuters, für seine Partei hätten letztlich die Chancen überwogen. "Das Scheitern ist kein gutes Signal für das Unternehmen, die Arbeitsplätze und den Hightech-Standort Bayern."

SPRINGT FRANKREICH IN DIE BRESCHE?

Ein Lilium-Sprecher wollte sich zu dem Nein aus Berlin nicht äußern. Das Unternehmen erwägt nun einen Umzug ins Ausland, wenn dort Staatshilfen fließen. Frankreich hat für die Ansiedlung eines Werks bereits Subventionen in Aussicht gestellt: "Wenn wir ein Nein bekommen, werden wir das Unternehmen in der jetzigen Form nicht in Deutschland halten können", hatte Mitgründer Daniel Wiegand der "Bild"-Zeitung gesagt. "Wollen wir jetzt auch noch die Elektrifizierung der Luftfahrt ins Ausland abwandern lassen, wenn die weltweit beste Technologie dafür von deutschen Ingenieuren entwickelt wurde?" schrieb Vorstandschef Klaus Röwe auf LinkedIn.

Die Investoren seien weiter bereit, Geld zu geben, wollten aber auch ein Signal vom Bund, schrieb Röwe weiter. "Es hat auf der Welt noch nie ein erfolgreiches Flugzeugprogramm gegeben, das nicht staatlich unterstützt wurde. Die Anfangsinvestitionen sind einfach zu hoch, um rein privatwirtschaftlich gestemmt zu werden." In einer Pflichtmitteilung an die US-Börsenaufsicht SEC hatte Lilium erklärt, wenn der KfW-Kredit nicht fließe, müsse man unter Umständen Insolvenz anmelden. Die an der US-Börse Nasdaq notierte Lilium-Aktie brach um 15 Prozent auf 62 US-Cent ein. Das Unternehmen wird dort mit umgerechnet 400 Millionen Euro bewertet.

(Weiterer Reporter: Jörn Poltz. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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