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11.09.2024 /15:41:23
TOP-THEMA-Merz und Scholz werfen sich im Bundestag Versagen bei Migration vor

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Scholz: Gesprächsangebot an Union steht weiter



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Merz nennt Vorwurf "infam", dass Abbruch geplant gewesen sei



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Faeser schreibt an EU-Kommission

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Innenministerium: Sprechen weiter mit Ländern
 
(neu: Innenministerium, Faeser-Brief an EU-Kommission)
- von Andreas Rinke und Alexander Ratz
Berlin, 11. Sep (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz
wirft CDU-Chef Friedrich Merz vor, sich der Verantwortung für
eine Lösung im Kampf gegen die irreguläre Migration zu
entziehen. "Sie haben sich in die Büsche geschlagen ? das ist
nicht gut für Deutschland", sagte Scholz am Mittwoch in einer
emotional geführten Generaldebatte über den Bundeshaushalt 2025
im Bundestag. In der vom Asyl-Thema dominierten Debatte
bemängelten dagegen Merz und der CSU-Landesgruppenchef Alexander
Dobrindt, dass die Ampel-Koalition und der Kanzler nicht
entschlossen vorgehen wollten. Nötig sei wenigstens eine
zeitlich befristete Zurückweisung aller Asylbewerber an den
Grenzen, sagte Merz.

Bereits am Dienstag hatten sich Scholz und Merz nach dem Abbruch der Gespräche zwischen Regierung, Union und Bundesländern über ein härteres Grenz-Management gegenseitig schwere Vorwürfe gemacht. Die Union hatte die Gespräche für beendet erklärt, weil ihr nach eigenen Angaben die Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser nicht ausreichten. Man begebe sich nicht in eine "Endlosschleife" von Gesprächen mit der Regierung, sagte Merz. In der Debatte wurde deutlich, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt: Umfassende Zurückweisungen aller Asylsuchenden an der Grenze seien rechtlich möglich und praktisch geboten, sagte Merz. Redner der Ampel-Regierung erklärten dagegen, dass dies nicht mit dem Europarecht vereinbar sei.

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte am Mittwoch, die Gespräche mit den Ländern etwa über den Aufbau grenznaher Zentren, in die Asylbewerber bis zur Klärung ihres Rechtsstatus untergebracht werden sollen, gingen weiter. Von dort sollen sie dann in die Länder abgeschoben werden, die für die Asylanträge zuständig sind.

FAESER INFORMIERT EU-KOMMISSION

Faeser hatte die EU-Kommission und das Europäische Parlament bereits am 9. September über die Pläne von Kontrollen an allen deutschen Grenzen informiert. "Allein die Bundespolizei hat in diesem Jahr (bis einschließlich Juli 2024) rund 50.000 unerlaubte Einreisen, rund 900 Schleusungen mit rund 1000 Schleusern bundesweit festgestellt. Insgesamt handelt es sich bei den unerlaubt eingereisten Personen vorwiegend um syrische, afghanische und türkische Staatsangehörige", schreibt sie in dem Reuters vorliegenden Brief. Sie begründet die Maßnahmen auch mit Hinweis auf die Messer- und Gewaltkriminalität durch Geflüchtete zu einer "massiven Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung und des inneren Friedens". Deshalb wolle sie Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen bis zum 15. März 2025 anmelden. Die Bundespolizei wolle die Auswirkungen "auf den grenzüberschreitenden Straßen- und Warenverkehr, die Wirtschaft und das Leben sowie Arbeiten in der Grenzregion so gering wie nur möglich zu halten".

Hintergrund sind auch Sorgen der Nachbarstaaten über negative Auswirkungen stärkerer Kontrollen. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, dass alle Nachbarstaaten bilateral über die Schritte der Bundesregierung informiert gewesen seien.

SCHOLZ ERNEUERT GESPRÄCHSANGEBOT AN UNION

Scholz warf Merz vor, er habe das Scheitern der Gespräche schon vor zwei, drei Wochen geplant. "Die Bürger wollen aber keine Theateraufführung." CDU-Chef Merz konterte, dieser Vorwurf sei infam. Vertreter der Ampel-Regierung erklärten, dass das Angebot an die Union weiter stehe, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. "Wir schlagen niemals eine Tür zu. Sie können immer wieder kommen", sagte der Kanzler. "Führung ist nicht, dass man auf eine Barrikade steigt und wilde Gesten zeigt", sagte Scholz an Merz gerichtet. "Führung ist, die eigenen Leute zu einem Kompromiss zu bewegen." Scholz kündigte an, dass seine Regierung die Vorschläge für ein effektiveres Grenzmanagement ohne die Union umsetzen werde. Im Bundestag ist sie dafür nicht auf die Stimmen der Union angewiesen.

Merz warf in seiner Rede der Bundesregierung auch wirtschaftliches Versagen vor. Auf den entscheidenden Feldern wie etwa der Energie- oder Haushaltspolitik sei die Koalition von SPD, Grünen und FDP verantwortlich für einen Niedergang des Landes. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt sagte, Deutschland sei seit Antritt der Ampel weder sicherer noch wettbewerbsfähiger geworden. Scholz habe einen Doppel-Wumms versprochen, "geliefert haben Sie eine Doppel-Null", sagte Dobrindt. Die Folge sei der Aufstieg radikaler Parteien, sagte er mit Blick auf AfD und BSW.

Auch die AfD-Fraktions-Co-Vorsitzende Alice Weidel machte Scholz schwere Vorwürfe und bezeichnete ihn als Kanzler des Niedergangs. Sie forderte ein Moratorium für Einwanderungen und die sofortige Abschiebung aller illegal in Deutschland lebenden Menschen.

(Bericht von Andreas Rinke, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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