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08.11.2024 /17:02:35
TOP-THEMA-Habeck bietet sich an - "Wenn Sie wollen, auch als Kanzler"

(neu: Äußerungen von Habeck)

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Habeck kündigt Kanzlerkandidatur an

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Vizekanzler soll breitere Wählerschichten ansprechen

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Bundesparteitag soll in einer Woche entscheiden

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Lindner spottet - Zwei Kanzlerkandidaten, keine Mehrheit
 
- von Holger Hansen
Berlin, 08. Nov (Reuters) - Bundeswirtschaftsminister
Robert Habeck will die Grünen als Kanzlerkandidat in die
voraussichtlich vorgezogene Bundestagswahl im kommenden Jahr
führen. Er sei bereit, seine Erfahrung und Verantwortung
anzubieten, kündigte der 55-jährige Vizekanzler am Freitag an:
"Wenn Sie wollen, auch als Kanzler." Auf einem Bundesparteitag
Ende nächster Woche will sich Habeck für die Kandidatur den
Rückhalt der Parteibasis holen. Seine Ankündigung war lange
erwartet worden, fällt nun aber zusammen mit dem Bruch der
Ampel-Koalition. Die Bundestagswahl dürfte daher spätestens im
Frühjahr 2025 stattfinden.

Habeck machte in dem neunminütigen Video deutlich, dass er Menschen über die Parteigrenzen hinaus ansprechen wolle: "Ich bewerbe mich als Kandidat von den Grünen - für die Menschen in Deutschland." Als Minister und Vizekanzler habe er gelernt, Krisen zu bewältigen und schwierige Entscheidungen zu treffen. "Ich habe Fehler gemacht", räumte er ein. "Ich lerne daraus, jeden Tag." Er kenne die Umfragen. Einen Führungsanspruch müsse man sich erarbeiten: "Ich will ihn mir erarbeiten."

Der Wirtschaftsminister unterstrich die Bedeutung des Klimaschutzes. "Deutschland muss in die Infrastruktur und das Bildungssystem investieren", sagte Habeck. "Deutschland muss beim Klimaschutz Kurs halten - kein Abwickeln, sondern weitermachen." Aber Klimaschutz müsse "für Sie, für Euch im Alltag funktionieren. Und er funktioniert nur, wenn wir uns auch um die soziale Frage kümmern."

Habecks bisheriger Koalitionspartner, der von Kanzler Olaf Scholz entlassene Finanzminister Christian Lindner, meldete sich über die Kurzmitteilungsplattform X zu Wort: "Schon verrückt. Keine eigene Mehrheit, aber jetzt zwei Kanzlerkandidaten in der Regierung." Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sprach angesichts der bundesweiten Umfragewerte von zehn bis zwölf Prozent für die Grünen von einem einem humorvollen Beigeschmack.

KANDIDATUR AKRIBISCH VORBEREITET - "KANZLER ERA"

Für die Partei kommt Habecks Bereitschaft nicht überraschend. Sie galt als ausgemacht, nachdem Außenministerin Annalena Baerbock im Sommer ihren Verzicht erklärt hatte. Seitdem laufen die Vorbereitungen und innerparteilichen Abstimmungen über Inhalte und Kampagne auf Hochtouren.

Habeck setzte sich bereits am Donnerstagabend in Szene mit einem kurzen Video, mit dem er sich auf der Social-Media-Plattform X zurückmeldete. 2019 hatte Habeck seinen Account gelöscht, als ein Wahlkampfvideo zu Thüringen ihm viel Kritik einbrachte. Habeck selbst räumte später ein, dass "das super bescheuert war, was ich da gesagt habe". Nun schrieb er, er wolle die Plattform nicht den "Schreihälsen und Populisten" überlassen. In Wahlkämpfen sind Social-Media-Dienste wie X, Instagram und TikTok zuletzt immer wichtiger geworden.

Habeck setzt dabei auch auf Botschaften a la US-Popstar Taylor Swift. In dem Video ist an seinem Handgelenk kurz ein Freundschafts-Armband zu sehen, mit den Worten "KANZLER ERA", was übersetzt "Kanzler-Ära" bedeutet.

KANZLERKANDIDATUR SOLL GRÜNE IM SPIEL HALTEN

Habeck soll für die Grünen vor allem über die Kernwählerschaft hinaus Punkte sammeln. Der gebürtige Lübecker gilt als Pragmatiker, der weniger links steht als weite Teile der Partei. 2021 gewann er für die Grünen erstmals das Direktmandat im ländlich geprägten Wahlkreis Schleswig-Flensburg. Seine einstige Popularität bröckelt aber. Vor allem die missglückte Vorbereitung seines Gesetzes zum klimafreundlichen Austausch von Öl- und Gas-Heizungen durch Wärmepumpen ließ seine Beliebtheitswerte einbrechen. Als Wirtschaftsminister steht er zudem in der Mitverantwortung für die wirtschaftliche Misere in Deutschland. 2024 droht das zweite Jahr in Folge eine Rezession.

Wahlen kommen nun schneller als gedacht. Die Grünen sehen sich gut vorbereitet. Ihre Sorge ist, dass sich der Wahlkampf auf ein Duell der voraussichtlichen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Merz (CDU) zuspitzt. Die Grünen könnten an den Rand gedrängt werden. Der Anspruch, Kanzler- und nicht nur Spitzenkandidat zu sein, soll signalisieren, dass die Grünen die Breite der Gesellschaft ansprechen wollen und nicht nur ihre Kernwählerschaft etwa im Klima- und Umweltschutz.

HABECKS DRITTER ANLAUF - KANZLERAMT NICHT IN REICHWEITE

Das Kanzleramt liegt nach Umfragen für Habeck aber in weiter Ferne. Innerparteilich konnte er auf großen Rückhalt setzen, solange er hohe Popularität genoss und es den Grünen gutging. So im Jahr 2022, als Habeck sich in der Energiekrise als Folge des Ukraine-Krieges als Krisenmanager bewährte und den Grünen im Sommer wieder Umfrage-Höchstwerte von 26 Prozent bekamen.

Doch seither ging es bergab für die Partei und Habeck. Nach dem Rücktritt der Parteispitze Ende September in diesem Jahr räumte Habeck ein, dass auch er als Vizekanzler und Wortführer der Grünen in der Bundesregierung Anteil an der Krise der Partei habe. "Die Wahlniederlagen bei den letzten Wahlen sind unstrittig vom Bundestrend beeinflusst", sagte Habeck. "Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich."

Nun stehen die Grünen in Umfragen weitaus schlechter da als vor der Bundestagswahl 2021, als ihnen zeitweise Spitzenwerte von 26 Prozent vorausgesagt wurden. Bei der Wahl im September 2021 reichte es dann nur für 14,8 Prozent. Bei der Europawahl im Juni stürzten sie auf 11,9 Prozent ab - minus 8,6 Prozentpunkte. "Wir sind jetzt unten und wir müssen uns wieder hocharbeiten", sagte Habeck im Sommer der Plattform "Politico". Das ZDF-Politbarometer vom Freitag sieht die Grünen bei zwölf Prozent. Ein Plus von einem Prozentpunkt zur vorherigen Befragung.

EHRGEIZ UND CHARISMA

Doch die Grünen setzen darauf, dass Habeck mit seinem Charisma und rhetorischem Talent die eigenen Reihen schließen und andere Wählerschichten mitreißen kann. Vor allem im konservativen Lager soll er fischen. Regierungsoptionen sind für die Grünen rechnerisch kaum in Sicht, aber Habeck und Teile der Partei können sich Schwarz-Grün vorstellen. Die Offenheit dafür signalisieren auch die Kandidaten für die neue Parteispitze, die sich in Wiesbaden zur Wahl stellen: Franziska Brantner ist eine erfahrene Realpolitikerin aus dem grün-schwarz regierten Baden-Württemberg und enge Habeck-Vertraute. Der designierte Co-Parteichef Felix Banaszak vom linken Flügel hat in Nordrhein-Westfalen 2022 die schwarz-grüne Koalition mit ausgehandelt.

An Ehrgeiz fehlt es Habeck nicht. Für ihn ist es der dritte Anlauf, die Grünen als Spitzenkandidat anzuführen. Bei seinem ersten Versuch 2017 unterlag er in einer Urwahl nur denkbar knapp dem damals weitaus bekannteren Co-Parteichef Cem Özdemir. 2021 machten Habeck und Baerbock als damalige Co-Parteivorsitzende die Kanzlerkandidatur untereinander aus. Baerbock setzte sich durch, was Habeck als persönliche Niederlage bezeichnete. "Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen", sagte er damals der "Zeit".

(Bericht von Holger Hansen. Redigiert von Hans Busemann Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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