*
Kanzler, Bundestag und Bundespräsident entscheiden gemeinsam
*
Grundgesetz zieht mit hohen Hürden Lehren aus dem Weg zu Hitler
*
Kanzler bleibt auch nach verlorener Vertrauensabstimmung im Amt
- von Jörn Poltz |
12. Nov (Reuters) - Unter einem amtierenden |
Bundeskanzler gibt es in Deutschland nur einen einzigen Weg zu |
einer vorgezogenen Parlamentswahl. Nur wenn der Kanzler die |
Vertrauensfrage stellt und der Bundestag ihm die erforderliche |
Mehrheit verweigert, kann der Bundespräsident Neuwahlen |
anordnen. Mit dieser international ungewöhnlich hohen Hürde |
zogen die Väter und Mütter des Grundgesetzes 1949 eine Lehre aus |
den instabilen Verhältnissen in der Weimarer Republik (1918 bis |
1933), die der nationalsozialistischen Diktatur von Adolf Hitler |
den Weg gebahnt hatten. Im Folgenden der Fahrplan der |
Verfassung: |
VERTRAUENSFRAGE: Der Bundeskanzler kann offiziell beantragen, dass der Bundestag ihm das Vertrauen ausspricht, heißt es in Artikel 68 des Grundgesetzes. Auch wenn diese Vorschrift ursprünglich dafür gedacht war, dass der Kanzler sich den Rückhalt des Parlaments sichert, wurde die Vertrauensfrage bereits mehrfach als Instrument zur Parlamentsauflösung genutzt. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses umstrittene Vorgehen wiederholt gebilligt.
VERTRAUENSABSTIMMUNG: Frühestens 48 Stunden nach dem formellen Antrag des Kanzlers stimmt der Bundestag darüber ab, legt Artikel 68 weiter fest. Das soll Insidern zufolge am 16. Dezember geschehen. Die Abstimmung ist namentlich oder geheim möglich - im Gegensatz zur Kanzlerwahl, für die die Geschäftsordnung des Bundestags geheime Stimmabgabe vorschreibt.
AUFLÖSUNG DES BUNDESTAGS: Wenn nicht die Mehrheit aller Bundestagsmitglieder für den Vertrauensantrag stimmt, ist wieder der Kanzler gefragt: Dann kann Scholz Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bitten, den Bundestag aufzulösen. Steinmeier kann seinerseits entscheiden, ob er dies tut. Mit der Auflösung wird jedoch allgemein gerechnet. Dafür hat Steinmeier 21 Tage Zeit.
WAHLTERMIN: Die Wahl findet laut Artikel 39 des Grundgesetzes spätestens 60 Tage nach der Parlamentsauflösung statt. Zusätzliche Vorbereitungsfristen aus dem Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung kann Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verkürzen. Union und SPD streben den 23. Februar als Wahltermin an. Das letzte Wort hat der Bundespräsident. Dass Steinmeier diesen Termin festlegt, wird jedoch erwartet. Der Bundespräsident folgt traditionell der Empfehlung der Bundesregierung, die sich ihrerseits mit den Bundesländern, dem Bundestag und dessen Fraktionen abstimmt.
BUNDESREGIERUNG: Im Grundgesetz ist vorgesehen, dass es keine regierungslose Zeit gibt. Denn auch wenn der Bundestag dem Kanzler das Vertrauen entzieht, bedeutet das nicht, dass das Parlament den Kanzler absetzt. Das ginge nur durch Wahl eines Gegenkandidaten, ein so genanntes konstruktives Misstrauensvotum. Anderenfalls endet die offizielle Amtszeit des Kanzlers laut Artikel 69 erst, wenn der neue Bundestag zusammentritt. Das muss gemäß Artikel 39 spätestens 30 Tage nach der Wahl geschehen. Und sogar dann bleibt die alte Regierung laut Artikel 69 zumindest geschäftsführend im Amt, bis alle Regierungsmitglieder neu ernannt sind.
(Bericht von Jörn Poltz, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)