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01.11.2024 /19:19:40
HINTERGRUND-Straßen ohne Namen - Probleme der Ureinwohner bei der US-Wahl

Sells, 01. Nov (Reuters) - Jennifer Juan hatte schon bei den Vorwahlen im Juli Probleme, im US-Bundesstaat Arizona ihre Stimme abzugeben. Eine Stunde lang ging sie mit den Wahlhelfern durch ihre Unterlagen, um sie zu überzeugen, dass sie zur Abstimmung zugelassen werden sollte. Zwar ist Juan als Wählerin registriert, ein notwendiger Schritt für alle Bürger in einem Land ohne Personalausweise oder Einwohnermeldeämter. Aber die 41-Jährige lebt auf dem Reservat der Tohono O'odham Nation, wo es keine Straßennamen oder Hausnummern gibt. Das ist nicht unüblich auf den Gebieten der etwa acht Millionen wahlberechtigten US-Ureinwohner.

Nun wäre das nicht zwingend ein Problem gewesen, denn Juans Wahlunterlagen beschreiben, wo ihr Haus liegt: In der Nähe von Meilenpfosten 7 an der Indian Route 19. Genauer gesagt war es das 53. Haus, das im Dorf Cold Fields gebaut wurde. Aber diese Beschreibung deckte sich nicht durchgehend mit ihrer Postadresse, die auf ein Postfach verweist. Auch dies ist eine häufige Situation auf dem Reservat, wo die Zustellung selten an die Häuser geht - Amazon-Pakete werden etwa bei der Shell-Tankstelle abgeliefert. Die Diskrepanz führte dazu, dass Juan nur eine provisorische Stimme abgeben durfte. "Es war wirklich schwierig, bei den letzten Vorwahlen abzustimmen", sagt sie.

"INFORMATIONSWÜSTE" IN DER WÜSTENLANDSCHAFT

Bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl am Dienstag zählt im Duell zwischen der Demokratin Kamala Harris und dem Republikaner Donald Trump jede Stimme. Die Wahl dürfte in sieben Bundesstaaten mit knappen Mehrheiten entschieden werden. Zu ihnen zählt auch Arizona an der Grenze zu Mexiko, der Grand Canyon State. Hier gibt es mehrere Reservate wie das der Tohono O'odham Nation. Diese umfasst etwa 10.000 Menschen auf einer Fläche, die etwas kleiner ist als Schleswig-Holstein. Insgesamt leben in Arizona 400.000 Indianer als Teil einer Gesamtbevölkerung von gut sieben Millionen Menschen, etwas weniger als Niedersachsen.

Die Bedingungen auf dem Reservat sind nicht ideal für eine Wahl. Die 42-jährige April Ignacio, Mitglied des Stammes, spricht von einer "Informationswüste" in dem Gebiet, das im Sonoran Desert liegt. Es gibt keine örtlichen Zeitungen, viele Bewohner verlassen sich auf Aushänge an der Post. Die Probleme gibt es nicht nur in Arizona. Joseph Dolezilek berichtet von der Fort Peck Reservation im Bundesstaat Montana, wo zwar viele Bewohner wählen wollten. Jedoch hätten sie keinen Zugang zu einem Auto, um zur Registrierung zum Sitz des Landkreises zu gelangen, der mehr als 30 Kilometer entfernt liege. "Der Bus fährt nur einmal am Tag", sagt der 38-Jährige. Dann müsste man stundenlang in einer unbekannten Stadt warten. "Das ist für manche Leute ziemlich schwierig."

STUDIE: UREINWOHNER MIT GERINGSTER WAHLBETEILIGUNG

Keine ethnische Gruppe in den USA hat eine niedrigere Wahlbeteiligung als die Ureinwohner, wie eine Studie der Regierung des demokratischen Präsidenten Joe Biden 2022 fand. Er selbst gewann Arizona 2020 mit etwa 10.000 Stimmen. In der Tohono O'odham Nation erhielt er 2800 Stimmen, also etwa 89 Prozent der Wahlberechtigten. Das passt zu der Faustregel, dass die Indianer, die dann zur Wahl gehen, eher Demokraten wählen.

Zwei Jahre nach der Wahl führten die Republikaner in Arizona dann eine Vorschrift ein, nach der Bürger ihren Wohnort und ihre Staatsbürgerschaft belegen müssen, um wählen zu dürfen. Die Tohono O'odham Nation schloss sich einer Klage dagegen an, die einen faktischen Entzug des Wahlrechts - "disenfranchisement" - von etwa 40.000 Indianern in Arizona unterstellte.

Im vergangenen Jahr entschied ein Gericht, dass US-Bürger mit einem Zugehörigkeitsausweis ihres Stammes sich registrieren lassen können, auch ohne Adresse oder nur mit einem Postfach. Allerdings zeigt der Fall von Juan, dass es trotzdem weiter Hindernisse gibt. Die republikanische Partei in Arizona reagierte zunächst nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.

(Geschrieben von Scot W. Stevenson, Redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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