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Vor allem möglicher Trump-Sieg schürt Sorgen |
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Unsicherer Ukraine-Kurs Washingtons |
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Experten erwarten Druck auf höhere Verteidigungsausgaben |
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Trump kündigt harten Wirtschaftskurs gegen Europa an |
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Deutsche Wirtschaft abhängiger von USA als 2017 | |
- von Andreas Rinke und Andrew | Gray |
Berlin/Brüssel, 01. Nov (Reuters) - Während Kamala | |
Harris und Donald Trump die letzten Wahlkampftage im Rennen um | |
den Einzug ins Weiße Haus bestreiten, wächst in Deutschland und | |
Europa die Nervosität über den möglichen Ausgang der | |
US-Präsidentschaftswahlen. Das Rennen ist eng, aber Umfragen | |
lassen derzeit einen Sieg des Republikaners Trump als | |
wahrscheinlicher erscheinen. "Ein halber Satz, der auf einer | |
Farm in Süd-Idaho geäußert wird, versetzt alle von Porto bis | |
Helsinki in Panik", beschreibt der österreichische Außenminister | |
Alexander Schallenberg gegenüber Reuters die Reaktionen in | |
Europa auf Wahlkampfauftritte. Tatsächlich gibt es eine Reihe | |
von Themenfeldern, in denen bei einem Sieg von Trump massive | |
Änderung erwartet werden - von der Ukraine, der Nato bis zur | |
Wirtschaft. 71 Prozent der Deutschen erwarten laut | |
ZDF-Politbarometer dann eine Zuspitzung der weltweiten Probleme | |
und Krisen. |
Zentraler Punkt der Sorgen ist dabei, wie das Weiße Haus sich künftig im Krieg zwischen Russland und der Ukraine aufstellt. Bei Harris wird keine Änderung der bisheriegn US-Politik mit einer deutlichen Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland erwartet. Aber Trump hat vollmundig angekündigt, dass er den Konflikt innerhalb eines einzigen Tages lösen könne. Viele von Reuters befragte europäische Beamte und Politiker sind besorgt, dass der als unberechenbar geltende Trump Russland schnelle Zugeständnisse zulasten der Ukraine machen könnte. Jedes Ende des Ukraine-Krieges, das Wladimir Putin als Sieg ansehe, könnte den russischen Präsidenten ermutigen, danach ein Nato-Land etwa im Baltikum anzugreifen, warnen sie. Nach Einschätzung vom BND-Chef Bruno Kahl wäre Russland Ende des Jahrzehnts militärisch dazu in der Lage.
Zwar bestreitet Putin entsprechende Pläne. Aber zusammen mit einer möglichen republikanischen Kongress-Mehrheit nach den Wahlen könnte auf die Europäer die Frage zurollen, ob sie der Ukraine beim Wegfall der USA-Hilfe noch sehr viel stärker unter die Arme greifen sollten. In vielen EU-Staaten wird das skeptisch gesehen. Genau deshalb hatten die G7-Staaten als Absicherung gegen innenpolitische Widerstände einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit für die Ukraine auf den Weg gebracht.
Nato-Chef Mark Rutte mahnt vorsorglich, Trump müsse verstehen, dass es bei dem Krieg "nicht nur um die Ukraine, sondern auch um die Sicherheit und die künftige Sicherheit der Vereinigten Staaten" gehe.
In seiner ersten Amtszeit als US-Präsident schürte Trump Zweifel, ob die USA weiterhin zu ihrem Engagement in der Nato und ihrer Rolle als Schutzmacht stehen. Am Ende wurden weder wie angekündigt US-Truppen aus Deutschland abgezogen noch verabschiedete sich Trump aus dem westlichen Bündnis. Anders als in seiner ersten Amtszeit erfüllen inzwischen mittlerweile 23 Nato-Staaten das selbst gesteckte Ziel, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben.
Aber unabhängig davon, wer in den USA ins Präsidentenamt gewählt wird: Die Frage ist, ob die USA nicht eine noch viel höhere Beteiligung der Europäer an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung fordern werden. Nach der Wahl könnte außerdem der US-Kongress in der Hand der Republikaner liegen, der die Macht über das nationale Budget hat. Auch von hier könnten also viel energischere Forderungen nach einem höheren Eigenanteil für Sicherheit seitens der Europäer kommen.
Käme aus den USA die Forderung nach einer höheren Zielmarke für den Anteil der Verteidigungsausgaben an der Wirtschaftsleistung, würden viele Länder wie Deutschland in große innenpolitische Turbulenzen gestürzt. Schon jetzt sind die öffentlichen Finanzen überall auf dem Kontinent angespannt. Und russlandfreundliche, populistische Parteien haben zuletzt Wahlerfolge im Europäischen Parlament, in Österreich und Ostdeutschland erzielt.
Trump hatte bereits in der ersten Amtszeit wegen des sinkenden Vertrauens in die Verlässlichkeit der USA die Frage des atomaren Schutzschirms wieder auf die Tagesordnung gebracht. Hier erwarten Experten allerdings keine Änderung - zumal der US-Schutzschirm auch Trump-nahe und russland-freundliche Politiker wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban schützt. Deutschland hat gerade Milliarden in amerikanische F35-Flugzeuge für die sogenannte nukleare Teilhabe investiert - was ganz im Sinne des Trump-Denkens sein müsste.
Ein Sieg Trumps würde die Konflikte innerhalb der EU weiter anheizen, erwarten EU-Diplomaten. Während die große Mehrzahl der Europäer auf einen Sieg von Harris hofft, setzt Orban offen auf den US-Republikaner - und will bevorzugter Partner für das Weiße Haus in Europa werden. Dass Trump anders als Harris wenig Sympathie für ein multilaterales Konstrukt wie die EU hegt, wurde schon in der ersten Amtszeit deutlich. Dazu kommt, dass er mit seinem "America first"-Kurs bereits eine harte wirtschaftspolitische Auseinandersetzung mit den Europäern und gerade Deutschland angekündigt hat: "Ich will, dass deutsche Autokonzerne zu amerikanischen Autokonzernen werden", sagt er ganz offen, wobei die deutschen Autobauer schon lange auch in den USA produzieren. Trump hat bereits neue Strafzölle gegen die Europäer ins Spiel gebracht.
Seine Wahl könnte vor allem Deutschland treffen. Denn die deutsche Politik hatte die Firmen jahrelang aufgefordert, Alternativen zu China zu suchen. Aus Sorge auch vor der wachsenden amerikanisch-chinesischen geopolitischen Konkurrenz haben sich viele Unternehmen verstärkt den USA zugewandt. Anders ausgedrückt: Um die Abhängigkeit von China zu reduzieren, ist die Abhängigkeit von den USA gestiegen. Mehr Exporte, mehr Investitionen, mehr Importe: Die deutsche Wirtschaft ist heute in vielen Bereichen abhängiger vom US-Geschäft als 2017, dem Beginn der ersten Amtszeit von Trump.
(Mitarbeit von Jan Lopatka, Sabine Siebold und Alistair Smout; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)