(Aktualisierter Hintergrund vom 5. Juli, mit Linken, AfD) |
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Bundestag ringt um Zweidrittelmehrheit für Richter |
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CDU verweigert Absprachen mit den Linken |
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AfD könnte für nötige Zweidrittelmehrheit sorgen |
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Stimmen alle Unions-Politiker für SPD-Nominierungen? |
- von Andreas Rinke |
Berlin, 07. Jul (Reuters) - Als die Union Ende Januar |
eine Resolution zur Asylpolitik im Bundestag nur mit Stimmen der |
AfD durchsetzte, folgte scharfe Kritik, von einem Dammbruch war |
die Rede. Bei der Wahl neuer Richter für das |
Bundesverfassungsgericht in dieser Woche droht ein ähnliches |
Szenario: Denn möglicherweise kommt im Bundestag die nötige |
Zweidrittelmehrheit für einen Unionskandidaten für Karlsruhe nur |
mit AfD-Stimmen zustande. Grund dafür ist nach Meinung von SPD, |
Grünen und Linken, dass die CDU an ihrem |
Unvereinbarkeitsbeschluss mit den Linken festhält und partout |
keine Absprachen mit der Partei treffen will. Aus einer |
rechtlichen Formalie könnte also ein Politikum mit schwer |
abschätzbaren Folgen auch für die schwarz-rote Koalition werden. |
Ausgangspunkt ist, dass am Bundesverfassungsgericht drei Stellen nachbesetzt werden müssen. Nach dem bisherigen Verfahren darf die Union diesmal einen Richter und die SPD zwei Nachbesetzungen vorschlagen. Die Union hat den bisherigen Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner, vorgeschlagen. Die SPD hat die Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold nominiert. Der Wahlausschuss des Bundestages berät darüber am Montag, am Freitag soll in zwei getrennten Wahlgängen erst über den CDU-Kandidaten, dann über die SPD-Kandidatinnen abgestimmt werden.
Sollte keine Zweidrittelmehrheit zustande kommen, kann der Bundesrat die Richter bestimmen, um eine Hängepartie und eine Lähmung des Verfassungsgerichts zu vermeiden. Das will das Parlament aber eigentlich nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat mittlerweile selbst drei Vorschläge gemacht, weil sich die Parteien nicht einigen konnten - darunter war auch Spinner.
Das politische Grundproblem ist angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, dass eine Zweidrittelmehrheit ohne die rechtspopulistische AfD nur noch zustande kommen kann, wenn sich alle anderen Parteien abstimmen. Die CDU/CSU-Fraktion hält aber an dem sogenannten Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber den Linken fest und lehnt deshalb Gespräche über die Richterwahl ab. Die Linken wiederum fordern, dass künftig auch sie bei der Richterauswahl mitsprechen dürfen. Es sei "zwingend, dass die Union auf uns zukommt", sagte der Linken-Politiker Dietmar Bartsch der "Welt".
Die Linke verweist darauf, dass das Kooperationsverbot in Wahrheit längst unterlaufen sei. Denn ihre Bundestagsfraktion sicherte auch den zweiten, schnellen Wahlgang bei der Kanzlerwahl von CDU-Chef Friedrich Merz - nach Absprache mit der Union. Und in Sachsen kam der Landeshaushalt von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gerade erst nur deshalb zustande, weil er die Linken zur Zustimmung bewegte. Auch SPD und Grüne im Bundestag beknien die Union deshalb, über ihren Schatten zu springen und die für die Wahl nötige Zweidrittelmehrheit zu sichern.
Die Union hat mit Spinner bewusst einen Kandidaten nominiert, den das Bundesverfassungsgericht selbst vorgeschlagen hatte und der als Integrationsfigur gilt. Deshalb setzt die Unionsfraktion darauf, dass die Linken diesen Kandidaten aus staatspolitischer Verantwortung auch ohne Absprache mitwählen. Dies gilt allerdings mittlerweile als sehr fraglich. Eine Zweidrittelmehrheit könnte aber zustande kommen, wenn sich die AfD entschließt, für Spinner zu stimmen. Dies würde einen Präzedenzfall schaffen: Erstmals würde ein Richter am höchsten deutschen Gericht nur dank AfD-Stimmen ins Amt kommen. Das AfD-Mitglied im Bundestags-Wahlausschuss, Stephan Brandner, sagte der "Rheinischen Post", dass man sich das Abstimmungsverhalten am Freitag offen halte.
Sollte dieser Fall eintreten, dürfte dies für erhebliche Spannungen innerhalb der schwarz-roten Koalition sorgen, heißt es etwa in der SPD. Merz hatte SPD-Co-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil versprochen, dass er keine auch nur versehentliche Mehrheit mit der AfD mehr riskiert. Deshalb gibt es auch in der SPD immer noch die Hoffnung, die Linken an Bord zu bekommen.
Zumindest eine Gefahr für den Koalitionsfrieden scheint gebannt: Zuletzt hatten einige Unionspolitiker Ablehnung gegenüber der von der SPD nominierten Brosius-Gersdorf wegen ihrer Offenheit für Schwangerschaftsabbrüche bekundet. Bei der zweiten Abstimmung für die SPD-Kandidatinnen könnte es also dazu kommen, dass die Linke im Bundestag dann zwar mitstimmt, es aber in der Unionsfraktion zahlreiche Abweichler geben wird. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann betonte aber, dass man jetzt koalitionäre Geschlossenheit brauche. "Bei den Richterwahlen für das Bundesverfassungsgericht geht es um die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie", sagte er der "Augsburger Allgemeinen". Es brauche "ein geschlossenes Votum der Parteien der Mitte, um die Funktionsfähigkeit des höchsten deutschen Gerichts sicherzustellen".
(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Philipp Krach und Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)