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08.11.2024 /11:15:44
TOP-THEMA-Insider - Habeck will Grünen-Kanzlerkandidat werden

(technische Wiederholung)

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Insider - Habeck-Ankündigung per Video erwartet

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Vizekanzler soll breitere Wählerschichten ansprechen

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Bundesparteitag soll in einer Woche entscheiden

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Merz: Kandidatur hat humorvollen Beigeschmack
 
- von Holger Hansen
Berlin, 08. Nov (Reuters) - Bundeswirtschaftsminister
Robert Habeck will am Freitag offiziell ankündigen, was seit
langem erwartet wird: Der 55-jährige Vizekanzler will die Grünen
bei der nächsten Bundestagswahl als Kanzlerkandidat anführen.
Mit seiner Erklärung per Videobotschaft auf
Social-Media-Plattformen ist am Nachmittag zu rechnen, wie der
Nachrichtenagentur Reuters von Insidern bestätigt wurde. Ende
nächster Woche steht ein seit langem geplanter Bundesparteitag
der Grünen in Wiesbaden an. Dort soll auch die Aufstellung für
die Bundestagswahl beraten werden. Habeck hatte schon im
September angekündigt, dass er dort ein ehrliches Votum über
eine mögliche Kandidatur wünsche.

Die erwartete Ankündigung fällt nun allerdings zusammen mit dem Bruch der Ampel-Koalition und Neuwahlen voraussichtlich spätestens im Frühjahr 2025. Bisher ist die Bundestagswahl für den 28. September 2025 angesetzt. Angesichts der bundesweiten Umfragewerte von zehn bis zwölf Prozent für die Grünen spottete Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Freitag, Habecks Antreten habe einen humorvollen Beigeschmack.

KANDIDATUR AKRIBISCH VORBEREITET - "KANZLER ERA"

Für die Partei kommt Habecks Bereitschaft nicht überraschend. Sie galt als ausgemacht, nachdem Außenministerin Annalena Baerbock im Sommer ihren Verzicht erklärt hatte. Seitdem laufen die Vorbereitungen und innerparteilichen Abstimmungen über Inhalte und Kampagne auf Hochtouren.

Habeck setzte sich bereits am Donnerstagabend in Szene mit einem kurzen Video, mit dem er sich auf der Social-Media-Plattform X zurückmeldete. 2019 hatte Habeck seinen Account gelöscht, als ein Wahlkampfvideo zu Thüringen ihm viel Kritik einbrachte. Habeck selbst räumte später ein, dass "das super bescheuert war, was ich da gesagt habe". Nun schrieb er, er wolle die Plattform nicht den "Schreihälsen und Populisten" überlassen. In Wahlkämpfen sind Social-Media-Dienste wie X, Instagram und TikTok zuletzt immer wichtiger geworden.

Habeck setzt dabei auch auf Botschaften a la US-Popstar Taylor Swift. In dem Video ist an seinem Handgelenk kurz ein Freundschafts-Armband zu sehen, mit den Worten "KANZLER ERA", was übersetzt "Kanzler-Ära" bedeutet.

KANZLERKANDIDATUR SOLL GRÜNE IM SPIEL HALTEN

Habeck soll für die Grünen vor allem über die Kernwählerschaft hinaus Punkte sammeln. Der gebürtige Lübecker gilt als Pragmatiker, der weniger links steht als weite Teile der Partei. 2021 gewann er für die Grünen erstmals das Direktmandat im ländlich geprägten Wahlkreis Schleswig-Flensburg. Seine einstige Popularität bröckelt aber. Vor allem die missglückte Vorbereitung seines Gesetzes zum klimafreundlichen Austausch von Öl- und Gas-Heizungen durch Wärmepumpen ließ seine Beliebtheitswerte einbrechen. Als Wirtschaftsminister steht er zudem in der Mitverantwortung für die wirtschaftliche Misere in Deutschland. 2024 droht das zweite Jahr in Folge eine Rezession.

Wahlen kommen nun schneller als gedacht. Die Grünen sehen sich gut vorbereitet. Ihre Sorge ist, dass sich der Wahlkampf auf ein Duell der voraussichtlichen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Merz (CDU) zuspitzt. Die Grünen könnten an den Rand gedrängt werden. Der Anspruch, Kanzler- und nicht nur Spitzenkandidat zu sein, soll signalisieren, dass die Grünen die Breite der Gesellschaft ansprechen wollen und nicht nur ihre Kernwählerschaft etwa im Klima- und Umweltschutz.

HABECKS DRITTER ANLAUF - KANZLERAMT NICHT IN REICHWEITE

Das Kanzleramt liegt nach Umfragen für Habeck aber in weiter Ferne. Innerparteilich konnte er auf großen Rückhalt setzen, solange er hohe Popularität genoss und es den Grünen gutging. So im Jahr 2022, als Habeck sich in der Energiekrise als Folge des Ukraine-Krieges als Krisenmanager bewährte und den Grünen im Sommer wieder Umfrage-Höchstwerte von 26 Prozent bekamen.

Doch seither ging es bergab für die Partei und Habeck. Nach dem Rücktritt der Parteispitze Ende September in diesem Jahr räumte Habeck ein, dass auch er als Vizekanzler und Wortführer der Grünen in der Bundesregierung Anteil an der Krise der Partei habe. "Die Wahlniederlagen bei den letzten Wahlen sind unstrittig vom Bundestrend beeinflusst", sagte Habeck. "Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich."

Nun stehen die Grünen in Umfragen weitaus schlechter da als vor der Bundestagswahl 2021, als ihnen zeitweise Spitzenwerte von 26 Prozent vorausgesagt wurden. Bei der Wahl im September 2021 reichte es dann nur für 14,8 Prozent. Bei der Europawahl im Juni stürzten sie auf 11,9 Prozent ab - minus 8,6 Prozentpunkte. "Wir sind jetzt unten und wir müssen uns wieder hocharbeiten", sagte Habeck im Sommer der Plattform "Politico". Das ZDF-Politbarometer vom Freitag sieht die Grünen bei zwölf Prozent. Ein Plus von einem Prozentpunkt zur vorherigen Befragung.

EHRGEIZ UND CHARISMA

Doch die Grünen setzen darauf, dass Habeck mit seinem Charisma und rhetorischem Talent die eigenen Reihen schließen und andere Wählerschichten mitreißen kann. Vor allem im konservativen Lager soll er fischen. Regierungsoptionen sind für die Grünen rechnerisch kaum in Sicht, aber Habeck und Teile der Partei können sich Schwarz-Grün vorstellen. Die Offenheit dafür signalisieren auch die Kandidaten für die neue Parteispitze, die sich in Wiesbaden zur Wahl stellen: Franziska Brantner ist eine erfahrene Realpolitikerin aus dem grün-schwarz regierten Baden-Württemberg und enge Habeck-Vertraute. Der designierte Co-Parteichef Felix Banaszak vom linken Flügel hat in Nordrhein-Westfalen 2022 die schwarz-grüne Koalition mit ausgehandelt.

An Ehrgeiz fehlt es Habeck nicht. Für ihn ist es der dritte Anlauf, die Grünen als Spitzenkandidat anzuführen. Bei seinem ersten Versuch 2017 unterlag er in einer Urwahl nur denkbar knapp dem damals weitaus bekannteren Co-Parteichef Cem Özdemir. 2021 machten Habeck und Baerbock als damalige Co-Parteivorsitzende die Kanzlerkandidatur untereinander aus. Baerbock setzte sich durch, was Habeck als persönliche Niederlage bezeichnete. "Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen", sagte er damals der "Zeit".

(Bericht von Holger Hansen, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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