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Nervöse SPD muss verschiedene Varianten diskutieren
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Nur Klingbeil, Pistorius und Miersch gelten als gesetzt
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CDU bereitet Sondierungen stärker in Fraktion vor
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Machtzentrum um Merz gilt als sicher: Linnemann, Frei, Dobrindt
- von Andreas Rinke |
Berlin, 20. Feb (Reuters) - Wenn am Sonntag um 18.00 Uhr |
die Prognose zur Bundestagswahl bekannt wird, kommt bei SPD und |
CDU ein Personal-Karussell in Gang. Bleibt es bei den |
derzeitigen Umfragen, dann ist das Ende von Kanzler Olaf Scholz |
als Regierungschef und wohl auch als Bundespolitiker besiegelt. |
Dann würde sich Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz um eine |
Regierungsbildung bemühen können. Dass der eine beim anderen ins |
Kabinett gehen würde, wiesen beide am Montag in der |
ARD-Wahlarena eher amüsiert zurück. Aber damit enden auch die |
Sicherheiten: Denn je nach Abstimmungsergebnis wird es massive |
Veränderungen in einer Partei - oder sogar möglicherweise in |
beiden geben. Ein Überblick, der auf Gesprächen mit einem |
Dutzend Spitzenpolitiker beider Seiten beruht: |
Bei der SPD ist die Nervosität deutlicher größer, was sich durch die schlechte Umfragewerte erklärt. Im TV-Duell bei Welt-TV musste sich Scholz anhören, dass er möglicherweise das schlechteste Ergebnis seit 1890 einfahren könnte - was der Kanzler mit unbeirrbarer Siegeszuversicht konterte. Aber je nachdem ob die SPD ein Ergebnis von 13, 16 oder gar 20 Prozent einfährt, wird dies verschiedene Auswirkungen haben.
Scholz selbst wird eigentlich nur eine Rolle zugeschrieben, wenn er die Wahl doch noch gewinnen sollte. Kommt es zu einem Achtungsergebnis, dann wäre zumindest nicht ausgeschlossen, dass er anfangs die Sondierungen mit führen könnte, heißt es. Denn er gilt als erfahrener Unterhändler - und potenzieller Nerv-Posten für Merz.
Was ansonsten passiert, ist allerdings unübersichtlicher. Die meisten Gesprächspartner nennen SPD-Co-Chef Lars Klingbeil, Verteidigungsminister Boris Pistorius und Generalsekretär Matthias Miersch als auch künftig starke Männer in der Partei, während SPD-Co-Chefin Saskia Esken deutlich kritischer gesehen wird. Im Hintergrund wird Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger als neue Parteichefin gehandelt. Aber ob und wie die SPD ihr Personal schnell neu sortieren wird, hängt auch von der Frage ab, ob man sich überhaupt Aussichten auf eine erneute Regierungsbeteiligung macht oder eher mit einem Gang in die Opposition liebäugelt. Eine Koalition mit Grünen, BSW und Linken oder eine Minderheitsregierung mit Grünen und Linken wird von mehreren Gesprächspartnern als unrealistisch angesehen. "Auf jeden Fall müssen wir mitdenken, dass etwa einem Koalitionsvertrag die Mitglieder oder ein Bundesparteitag zustimmen müssten", betont ein führender Sozialdemokrat.
Die Parteiführung hofft auf jeden Fall auf eine möglichst kontrollierte Diskussion: "Auf keinen Fall soll irgendjemand nach 18.00 Uhr rauskommen und schnelle Beschlüsse verkünden", mahnt ein SPD-Präsidiumsmitglied. Die SPD ist ein gebranntes Kind: Der frühere Kanzler-Kandidat Martin Schulz schloss nach seiner Niederlage 2017 noch am Wahlabend eine Koalition aus - und die SPD musste sich später korrigieren. Altkanzler Gerhard Schröder sorgte nach seiner Niederlage am Wahlabend 2005 für einen Eklat, weil er behauptete, dass seine Partei seine Herausforderin Angela Merkel (CDU) nie zur Kanzlerin wählen würde - was sie dann doch tat.
Montagmorgen tagt das SPD-Präsidium, später der Parteivorstand. Am Dienstag kommt erstmals die neue Fraktion zusammen. Mittwoch folgt dann die Wahl des Fraktionsvorsitzenden. Normalerweise würde SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zunächst im Amt bestätigt, bis Klarheit herrscht, welchen Weg die SPD gehen will. Aber angesichts der Unsicherheit über das Wahlergebnis herrscht auch Unsicherheit, ob die Debatte geordnet ablaufen kann und es Gegenkandidaten gibt.
Im Umfeld von CDU-Chef Friedrich Merz sieht die Lage anders aus. Zwar herrscht hier weniger Nervosität, weil die Union in Umfragen stärker ist als SPD und Grüne zusammen. Die Union denkt insofern nur an die Besetzung des Kanzleramts und die Bildung einer Regierung. Aber seit Wochen gelingt es der Union nicht, auf die erhofften 35 bis 38 Prozent zu kommen, die garantieren würden, dass nur ein Koalitionspartner nötig wäre. "Bei einem Ergebnis unter 30 Prozent drohen uns sehr schwierige Koalitionsverhandlungen", warnt ein CDU-Bundesvorstandsmitglied.
Merz selbst stehe aber auch dann nicht zur Disposition, heißt es übereinstimmend. Bei einem schlechten Ergebnis könnte allerdings eine Diskussion ausbrechen, ob gerade der Asylkurs der Union zu hart oder doch noch zu weich war. Sollten sich die Hardliner um Fraktionsvize Jens Spahn durchsetzen, dürfte dies die erwarteten Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen deutlich erschweren.
Sollte die CDU bei der Wahl nicht überraschend abstürzen, gilt als unstrittig, dass der engste Kreis von Merz mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und dem Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei die künftigen Kernfiguren sein werden. Auf CSU-Seite will Parteichef Markus Söder nicht nur mit seiner Ablehnung einer schwarz-grünen Koalition prägend sein, sondern auch mit seiner Forderung nach einer Aufwertung des Koalitionsausschusses. "Gesetzt" sind daneben nur CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der auch für ein "größeres" Ministerium gehandelt wird sowie laut Söder der bisherige Präsident des bayerischen Bauernverbands, Günther Felßner, als künftiger Landwirtschaftsminister. Auffallend ist der Mangel an Frauen bei der Auflistung der unbedingt Gesetzten.
Anders als in der SPD, wo die Fäden auch bei möglichen Sondierungen im Willy-Brandt-Haus zusammenlaufen, liegt das Machtzentrum bei der bisher oppositionellen Union in der CDU/CSU-Fraktion. Führen soll die Gespräche ein Sechser-Gremium aus beiden Parteichefs, beiden Generalsekretären sowie Frei und Dobrindt. Die neue Fraktion wird am Dienstag zusammenkommen. Dann soll auch Merz zunächst als Fraktionschef bestätigt werden. Besonders wichtig für die Union: Tempo. Merz strebt eine neue Regierung bereits zu Ostern an. Am liebsten würde er mit Sondierungen schon am Sonntagabend beginnen.
(Bericht von Andreas Rinke, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)