*
Van der Bellen beauftragt FPÖ mit Regierungsbildung |
*
Bundespräsident hat Lage mit FPÖ-Chef Kickl diskutiert |
*
ÖVP wäre offen für Koalitionsgespräche mit FPÖ |
*
FPÖ könnte damit erstmals Regierungschef stellen |
(Mit Details, Protesten, Hintergrund) |
- von Francois Murphy und Klaus Lauer |
Wien/Berlin, 06. Jan (Reuters) - Nach gescheiterten |
Koalitionsverhandlungen in Österreich hat Bundespräsident |
Alexander Van der Bellen erstmals die rechte FPÖ mit der |
Regierungsbildung beauftragt. Dies kündigte Van der Bellen am |
Montag nach einem Gespräch mit FPÖ-Chef Herbert Kickl (56) in |
der Wiener Hofburg an. Er habe Kickl mit Koalitionsgesprächen |
mit der konservativen ÖVP beauftragt, sagte Van der Bellen. |
"Herr Kickl traut sich zu, hier im Rahmen von |
Regierungsverhandlungen tragfähige Lösungen zu finden - und er |
will diese Verantwortung." Der FPÖ-Chef werde ihm laufend über |
den Fortgang von Gesprächen mit der ÖVP berichten, sagte der |
Bundespräsident und ehemalige Grünen-Politiker. "Ich habe mir |
diesen Schritt nicht leicht gemacht." Er werde weiter darauf |
achten, "dass die Prinzipien und Regeln unserer Verfassung |
beachtet und eingehalten werden". |
Zuvor waren Koalitionsverhandlungen zwischen der konservativen ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ ebenso gescheitert wie Dreier-Gespräche mit den liberalen Neos. Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer hatte am Samstag seinen Rücktritt angekündigt.
Nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl im September könnte die rechte FPÖ mithilfe der konservativen ÖVP nun erstmals den Kanzler stellen. Grund dafür ist die 180-Grad-Wende der ÖVP. Denn die Volkspartei hatte - wie die SPÖ - nach der Wahl eine Zusammenarbeit mit der FPÖ und ihrem umstrittenen Chef Kickl strikt abgelehnt. Doch nach dem Scheitern der Gespräche mit SPÖ und Neos kündigte der neue ÖVP-Chef Christian Stocker am Sonntag an, man sei nun bereit zu Koalitionsgesprächen mit der FPÖ.
Gemeinsamkeiten gibt es zwischen ÖVP und FPÖ in mehreren Fragen, etwa bei einem strikten Kurs zum Thema Einwanderung und Abschiebungen. Zudem plädieren beide Parteien für eine angebots- und wirtschaftsfreundliche Politik mit Steuersenkungen, müssten aber mit einer schwierigen Haushaltslage zurechtkommen. Kritisch dürfte sein, dass die FPÖ Hilfen für die Ukraine ebenso ablehnt wie die westlichen Sanktionen gegen Russland.
Die FPÖ war seit dem Jahr 2000 bereits dreimal als Juniorpartner in einer ÖVP-geführten Bundesregierung vertreten. Kickl selbst war von Dezember 2017 bis zum Zusammenbruch der Koalition im Mai 2019 Bundesinnenminister. Diesmal käme es wohl zu einem Rollentausch - mit den Konservativen als Juniorpartner und der FPÖ als Kanzlerpartei. Denn die Freiheitlichen legten bei der Wahl im September um fast 13 Prozentpunkte zu und holten mit knapp 29 Prozent die meisten Stimmen. Die ÖVP hingegen verlor gut 11 Prozent und kam nur auf rund 26 Prozent. Die SPÖ erreichte etwas über 21 Prozent.
Nach dem Wahlsieg der FPÖ hatte Van der Bellen den Freiheitlichen beim Regierungsauftrag noch einen Korb gegeben. Er wollte dem Land "leere Kilometer" ersparen, wie er jüngst sagte und begründete dies mit der damaligen Weigerung von SPÖ und ÖVP, mit den Rechtspopulisten zu koalieren.
Während des Treffens von Van der Bellen mit Kickl |
sammelten sich hunderte Demonstranten vor der Hofburg und |
protestierten gegen eine FPÖ-geführte Regierung. Sie hielten |
Transparente wie "Nie wieder Volkskanzler", "Omas gegen Rechts" |
und "Hetze tötet" in die Luft. Als Kickl die Hofburg verließ, |
gab es Pfiffe und viele riefen "Nazis raus". |
(Bericht von Francois Murphy, Klaus Lauer, Christine Uyanik und Anja Guder, - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)