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05.07.2024 /16:58:10
ANALYSE-Was Macron mit der Haushaltseinigung der Ampel zu tun hat

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Krisen im Ausland disziplinieren deutsche Politiker



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Scholz und Habeck mahnen Stabilität an



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Teil der Haushaltsprobleme nur vertagt



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Im September erwartet Ampel-Parteien Schock bei Ostwahlen





- von Andreas Rinke -

Berlin, 05. Jul (Reuters) - Die vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich werden in der Bundesregierung wegen des wahrscheinlichen Rechtsrucks im wichtigsten Partnerland durchweg als Fehler betrachtet. Aber zugleich tat Präsident Emmanuel Macron Kanzler Olaf Scholz mit der Entscheidung ungewollt einen großen Gefallen: Denn das Entsetzen über die Entwicklung in Paris hat ihm geholfen, die größtenteils entnervten Ampel-Truppen zusammenzuhalten. Spätestens seit der ersten Runde der Parlamentswahlen sei den Ampel-Spitzen klargewesen, dass man sich ein Scheitern der Haushaltsverhandlungen nicht mehr leisten könne, heißt es in Regierungskreisen.

"Deutschland muss jetzt ein Stabilitätsanker in Europa sein", betonte Scholz am Freitag. Auch Vizekanzler Robert Habeck sagte: "Wir leben in einer Welt mit so vielen Krisen. Während wir verhandelt haben, wurde in Frankreich gewählt. Der amerikanische Wahlkampf nimmt Fahrt auf." So wichtig die Differenzen in der Haushaltspolitik seien: "Wir haben die Verpflichtung, Dinge nicht leichtfertig zu überhöhen", mahnte Habeck.

Dieser Blick über die Grenzen hat maßgeblich dazu beigetragen, die zum Teil wilden Spekulationen über ein Ampel-Ende einzudämmen. Dabei waren Nervosität und Unmut gerade in der Kanzlerpartei SPD angesichts schlechter Umfragewerte und dem schwachen Abschneiden bei der Europawahl sehr groß. Erstmals seit Ampel-Beginn 2021 wurde im Hintergrund von namhaften SPD-Politikern ernsthaft gefordert, dass Scholz die FDP wegen des Widerstands gegen die Erklärung einer haushalterischen Notlage aus der "Fortschrittskoalition" rausschmeißen sollte. SPD-Partei und -Fraktion hatten zudem wochenlang erklärt, dass eine sinnvolle Einigung über den Haushalt ohne einen milliardenschweren Ukraine-Sondertopf nicht möglich sei.

Aber dann kam der Frankreich-Schock. Am Freitag begnügten sich die Sozialdemokraten mit einer leichten Erhöhung der Leistungen für Kinder, einem Wachstumspaket und damit, dass sie Scholz zumindest abgerungen hatten, dass die Ampel sich überhaupt vor der parlamentarischen Sommerpause auf einen Haushaltsentwurf einigt. Die Schuldenbremse ist intakt.

MANCHE PROBLEME NUR VERTAGT

Allerdings hat das Trio aus Scholz, Habeck sowie Finanzminister Christian Lindner nicht alle Probleme beseitigt. Lindner betonte zwar, dass er einen soliden Entwurf vorlegen werde, in dem nicht getrickst werde. Aber Antworten zu konkreten Zahlen wehrte er mit dem Hinweis ab, dass erst einmal "Leitplanken" vorlägen. Die Ampel-Ruhe könnte also wieder gestört werden, wenn die Abgeordneten bis zum 17. Juli Fallstricke im detaillierten Etatentwurf für 2025 entdecken. Auch wenn am Freitag niemand laut murrte: Richtig zufrieden ist niemand. In der FDP hätte man sich energischere Sparanstrengungen gewünscht. SPD und Grüne hatten gehofft, dass es einen so großen Wurf geben würde, dass sich die ampelkritische Stimmung im Land dreht. Ob der "Wachstumsturbo" dazu ausreicht, wird selbst in der Ampel bezweifelt.

Entscheidend für Ruhe oder Unruhe in der Regierung dürften nach Ansicht von Fraktionskreisen jetzt die Rückmeldungen der Basis sein. Fallen sie schlecht aus, könnten nach der parlamentarischen Sommerpause frustrierte Abgeordnete zu den Beratungen über den Haushalt zurück nach Berlin kommen. Dann könnte auch die hitzige Debatte über die Schuldenbremse aufflammen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich betonte am Freitag schon, dass das Thema Notlage nicht vom Tisch sei.

STIMMUNGSDÄMPFER OSTWAHLEN

Dazu kommt, dass allen drei Ampel-Parteien Schocks bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im September bevorstehen. FDP und Grüne könnten dort nicht mehr in den Parlamenten vertreten sein. Der SPD droht zumindest in Sachsen und Thüringen in einem aufgeheizten Polarisierungswahlkampf ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Sollte dies eintreten, dürften die Schockwellen bis nach Berlin reichen - und dort möglicherweise dazu führen, dass ausgerechnet während der Verabschiedung des Haushalts 2025 der Ruf nach einer härteren Position lauter wird.

Dabei bekommen SPD, Grüne und FDP aus anderen Teilen Deutschlands immer mehr Warnschüsse, dass sich die Ampel endlich zusammenraufen und auf das Wesentliche konzentrieren sollte. Auch SPD-geführte Länder sorgten am Freitag für das Scheitern des Düngegesetzes der Ampel. Das Cannabis-Gesetz wird in vielen Ländern nur widerwillig umgesetzt. Die große Unzufriedenheit mit der Regierung, die gerade wieder im ARD-Deutschlandtrend sichtbar wurde, hängt auch Landes- und Kommunalpolitikern der Ampel-Parteien wie ein Klotz am Bein.

Jedenfalls klang der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil zur Haushaltseinigung deutlich genervt. "Ich hoffe sehr, dass die Ampel-Koalition es auf dieser Grundlage schafft, in einem guten Arbeitsmodus miteinander diese Legislaturperiode zu Ende zu bringen", erklärte der SPD-Politiker. "Der Eindruck der Zerstrittenheit muss beendet werden. Das gebietet die politische Vernunft, und das wünschen sich die Menschen in unserem Land."

(Redigiert von Thomas Seythal. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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