Nachricht


05.07.2024 /18:35:49
TOP-THEMA-Orban verärgert EU-Staaten mit Besuch bei Putin - Ukraine-Gespräch ohne Mandat

(Neu: PK Putins und Orbans, mehrere EU-Staats- und Regierungschefs)

*

Putin will nur über "Nuancen" reden

*

Scholz: Orban nicht als Vertreter der EU in Moskau

*

Orban sieht EU-Ratspräsidentschaft als Friedensauftrag
 
- von Philip Blenkinsop und AndrewGray
Budapest/Brüssel, 05. Jul (Reuters) - Ungarns
Ministerpräsident Viktor Orban ist kurz nach der Übernahme der
EU-Ratspräsidentschaft zu Russlands Präsident Wladimir Putin
gereist und hat damit westliche Partner vor den Kopf gestoßen.
Er sehe die EU-Ratspräsidentschaft als Friedensauftrag, sagte
Orban am Freitag bei einer Pressekonferenz mit Putin in Moskau
mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Das im Westen isolierte
russische Staatsoberhaupt dankte Orban für den Versuch, die
Beziehungen zwischen seinem Land und Europa zu verbessern,
erklärte sich aber nur bereit, über "Nuancen" der russischen
Vorstellungen für einen Frieden zu sprechen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und mehrere
europäische Staats- und Regierungschefs kritisierten Orban, der
keinen Verhandlungsauftrag habe. "Wer wirklich Frieden will,
schüttelt nicht die Hand eines blutbefleckten Diktators, sondern
unterstützt mit allen Kräften die Ukraine", schrieb etwa
Litauens Präsident Gitanas Nauseda auf X.

Putin erklärte, er habe mit Orban über die Lage in der Ukraine gesprochen. Der russische Präsident betonte erneut seine Sichtweise, dass die Vorschläge seines Landes der Schlüssel zur Lösung des Konflikts seien. Allerdings sei die Regierung in Kiew nicht bereit, den Konflikt zu beenden. Die Ukraine, die vor zweieinhalb Jahren von Russland überfallen worden war, hatte Putins Bedingungen als Aufforderung zur Kapitulation bezeichnet.

Orban räumte ein, die Standpunkte der Regierungen in Kiew und Moskau lägen weiterhin weit auseinander. "Viele Schritte sind nötig, um den Krieg zu beenden, doch wir haben den ersten Schritt zur Wiederherstellung des Dialogs getan", sagte Orban. Russland beharrt darauf, dass die Ukraine auf den von ihr angestrebten Nato-Beitritt verzichtet und vier völkerrechtswidrig von Russland annektierte Regionen aufgibt. Die Ukraine lehnt dies entschieden ab.

SCHOLZ: ORBAN SPRICHT NICHT IM NAMEN DER EU

Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, dass Orban nicht als Vertreter der EU Gespräche führe, sondern als Vertreter Ungarns. Repräsentant der EU-Regierungen sei der Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zog warnend einen Vergleich mit der nachgiebigen Politik Großbritanniens gegenüber Hitler-Deutschland in den 1930er Jahren, die als ein Schritt auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg gesehen wird. "Appeasement wird Putin nicht stoppen", schrieb von der Leyen auf X. Nur Einigkeit und Standfestigkeit der 27 EU-Mitglieder würden zu einem dauerhaften Frieden führen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, das Nato-Land Ungarn vertrete bei den Gesprächen in Moskau in keiner Weise das westliche Militärbündnis. Die Allianz sei aber im Vorfeld über Orbans Reise informiert gewesen. Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo nannte das Vorgehen Orbans verstörend. "Sein Besuch zeigt Missachtung der Aufgaben der EU-Ratspräsidentschaft und untergräbt die Interessen der Europäischen Union."

Das Außenministerium in Kiew kritisierte, Orbans Moskau-Reise sei nicht mit der Ukraine koordiniert gewesen. Andere Staaten sollten keinerlei Gespräche über die Ukraine führen ohne eine Beteiligung Kiews. Kurz vor der Moskau-Reise war Orban bereits nach Kiew gereist. Dort drängte er Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu, eine Feuerpause mit dem Angreifer Russland in Betracht zu ziehen.

ORBAN SUCHTE WIEDERHOLT KONFRONTATION MIT EU

Orban ist zuletzt immer mehr mit einer vergleichsweise Russland-freundlichen und Ukraine-kritischen Position aus den Reihen der EU-Länder ausgeschert. Auch in anderen Fragen geht der Rechtspopulist immer wieder auf Konfrontationskurs zu Brüssel. Die EU-Kommission belegte Ungarn wiederholt mit Sanktionen, unter anderem wegen Verstoßes gegen demokratische Grundsätze im eigenen Land.

Die turnusmäßige ungarische EU-Ratspräsidentschaft hat Orban unter das Motto "Make Europe Great Again" (Macht Europa wieder groß) gestellt und spielte damit auf den Slogan von Ex-US-Präsident Donald Trump (Make America great again) an. Der wegen vielfacher Falschaussagen umstrittene Trump ist ein scharfer Kritiker der EU. Orban pflegt zu ihm gute Beziehungen.

Von allen EU-Regierungschefs gilt der rechtskonservative Orban als derjenige, der Putin am meisten zugeneigt ist. Gleichzeitig steht er der westlichen Militärhilfe für die Ukraine kritisch gegenüber. Ein persönliches Treffen von EU-Spitzenpolitikern mit Putin in Moskau gab es seit 2022 nicht mehr, allerdings mehrere Telefonate.

(Unter Mitarbeit von Anita Komuves und Boldizsar Gyori in Budapest sowie dem Reuters-Büro in Moskau; geschrieben von Elke Ahlswede und Hans Busemann, redigiert von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

Hinsichtlich weiterer Informationen und einer gegebenenfalls erforderlichen Offenlegung potenzieller Interessenkonflikte nach § 85 WpHG der für die Erstellung der zugrunde liegenden Finanzinformationen oder Analysen verantwortlichen Unternehmen wird auf das Informationsangebot dieser Unternehmen (Internetseite und andere Informationskanäle) verwiesen.