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26.09.2024 /12:43:37
TOP-THEMA-Institute erwarten auch 2024 Rezession - Kritik an Bundesregierung

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Herbstgutachten: Wirtschaft dürfte um 0,1 Prozent schrumpfen



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Prognose für 2025 von 1,4 auf 0,8 Prozent gestutzt

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Ökonomen: Politik muss Rahmenbedingungen verbessern
 
(neu: Details, Reaktion DIHK)
Berlin, 26. Sep (Reuters) -

Führende Forschungsinstitute rechnen auch wegen der Politik der Bundesregierung mit dem zweiten Rezessionsjahr in Folge für Deutschland. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte 2024 um 0,1 Prozent fallen und damit bereits das zweite Mal hintereinander schrumpfen, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Herbstgutachten. Im März war noch ein Mini-Plus von 0,1 Prozent vorausgesagt worden, nach minus 0,3 Prozent 2023. "Seit mehr als zwei Jahren tritt die deutsche Wirtschaft auf der Stelle", sagte die Leiterin des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Geraldine Dany-Knedlik, in Berlin.

Die Wirtschaft ist von dieser Aussicht wenig begeistert.
"Zwei Jahre in Folge Rezession, das gab es in Deutschland
zuletzt vor mehr als 20 Jahren", klagte der Präsident der
Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian.
Große Sprünge sind auch künftig nicht zuerwarten: Für 2025 wurde
die Vorhersage in der Gemeinschaftsdiagnose von 1,4 auf 0,8
Prozent gekappt. "An den Trend von vor der Pandemie wird das
Wirtschaftswachstum nicht anknüpfen können", sagte Dany-Knedlik.
2026 soll ein Wachstum von 1,3 Prozent folgen. "Neben der
konjunkturellen Schwäche belastet auch der strukturelle Wandel
die deutsche Wirtschaft", sagte die DIW-Expertin.
"Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und
wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China
haben strukturelle Anpassungsprozesse ausgelöst, die die
Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft dämpfen."
"KLARER KOMPASS GEFORDERT"

Die Bundesregierung ist den Instituten zufolge wegen ihres politischen Kurses mitverantwortlich für die Unsicherheit und Konjunkturschwäche. "Gerade in Zeiten des Strukturwandels ist für die Planungssicherheit der privaten Haushalte und der Unternehmen ein klarer wirtschaftspolitischer Kompass gefragt", betonten die Ökonomen. Die Regierung sei sich in vielen Punkten nicht einig, etwa in der Haushaltspolitik. "Damit Unternehmen und Haushalte wieder Vertrauen in die wirtschaftliche Stabilität fassen, scheint ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik unerlässlich." Dies sollte zu weniger Detailregelungen führen, weniger Subventionen für einzelne Firmen sowie zu weniger staatlich geförderter Besitzstandswahrung. "Es müssen die Rahmenbedingungen insgesamt verbessert werden", forderte der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths. Hilfen für einzelne Firmen und Branchen wie etwa für Volkswagen <VOWG_p.DE> oder die Autoindustrie "gehen zwangsläufig zulasten anderer Unternehmen", die die Subventionen aufbringen müssten. Für diese sei das ein Wettbewerbsnachteil im internationalen Konkurrenzkampf.

Ähnliche Forderungen kommen aus der Wirtschaft. "Für
Klein-Klein ist die Lage der Wirtschaft zu ernst", sagte
DIHK-Präsident Adrian. Die Firmen bräuchten ein deutliches
Aufbruchssignal, um wieder richtig durchstarten zu können - etwa
wettbewerbsfähige Energiepreise durch Begrenzung der
Netzentgelte, niedrigere Steuern mit einer Abschaffung des
Solidaritätszuschlages als erstem Schritt, schnellere
Genehmigungen und ein konsequenterer Abbau von Bürokratie.
 
AUFTRÄGE FEHLEN
 
Besonders unter Druck sehen die Institute die Industrie.
Deren Wettbewerbsfähigkeit leide unter den gestiegenen
Energiekosten und der zunehmenden Konkurrenz durch hochwertige
Industriegüter aus China, die deutsche Exporte auf den
Weltmärkten verdrängten. Die schwächelnde globale Konjunktur
spiegele sich in einem Mangel an neuen Aufträgen wider.

Symptomatisch für die Probleme sei hier die anhaltende Investitionsschwäche. Das nach wie vor hohe Zinsniveau und die große wirtschafts- und geopolitische Unsicherheit dürften sowohl die Investitionen der Firmen als auch die Anschaffungsneigung der Verbraucher belastet haben. "Die privaten Haushalte legen ihr Einkommen vermehrt auf die hohe Kante, statt Geld für neue Wohnbauten oder Konsumgüter auszugeben", hieß es.

ARBEITSLOSENQUOTE DÜRFTE STEIGEN

Die Konjunkturflaute geht nicht spurlos am Jobmarkt vorbei. In diesem und im kommenden Jahr soll die Arbeitslosenquote auf sechs Prozent steigen. Zum Vergleich: 2023 betrug sie 5,7 Prozent. Dieser Wert werde erst 2026 wieder erreicht. "Auf dem Arbeitsmarkt zeigt der wirtschaftliche Stillstand mittlerweile deutlichere Spuren", erklärten die Institute.

Entspannung erwarten die Ökonomen bei der Inflation. Dieses Jahr sollen die Verbraucherpreise nur noch um durchschnittlich 2,2 Prozent steigen, nachdem die Teuerungsrate 2023 bei 5,9 Prozent gelegen hatte. In den beiden kommenden Jahren dürfte sich die Inflationsrate bei je zwei Prozent einpendeln.

Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Bundesregierung als Basis für ihre neuen Projektionen im Oktober, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. In der Frühjahrsprognose war das Bundeswirtschaftsministerium von 0,3 Prozent Wachstum im laufenden Jahr ausgegangen und hatte für 2025 plus 1,0 Prozent vorausgesagt. Erstellt wird die Gemeinschaftsdiagnose vom RWI in Essen, vom Ifo-Institut in München, vom Kieler IfW, vom IWH in Halle und vom Berliner DIW.

(Bericht von Rene Wagner, Klaus Lauer, Maria Martinez und Reinhard Becker, redigiert von Christian Rüttger. - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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