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16.09.2024 /18:32:21
TOP-THEMA-Zentralasien bietet sich Deutschland als Rohstofflieferant an

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Kasachischer Präsident: Wir haben 19 der 34 kritische Rohstoffe



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Auch Usbekistan bietet sich auf Scholz-Reise an



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Deutsche Firma will Lithium abbauen, Kooperation bei Seltenen Erden



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Kanzler und Tokajew für Ausbau Transportroute an Russland vorbei



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Differenzen über Ukraine
 
(Durchgehend neu)
- von Andreas Rinke
Astana/Samarkand, 16. Sep (Reuters) - Zentralasien will
Deutschland mit kritischen Rohstoffen versorgen. "Wir erwarten
den Aufbau eines Handelskonsortiums für seltene Erden", sagte
der kasachische Präsident Kassym-Schmoart Tokajew am Montag bei
einem Besuch von Kanzler Olaf Scholz in Astana. Er begrüßte
unter anderem Pläne des Unternehmens HMS Bergbau für eine
Lithium-Mine im Osten Kasachstans. "Die Investitionen werden
sich auf den Betrag von 500 Millionen (Dollar) belaufen", sagte
Tokajew. Der kasachische Präsident betonte, dass Kasachstan über
19 der 34 Rohstoffe verfüge, die als kritische Rohstoffe
eingestuft würden. Sein Land sei zudem bereit, mehr Öl nach
Europa zu exportieren. Zuvor hatte sich bereits das ebenfalls
rohstoffreiche Usbekistan als Rohstoffpartner angeboten. Scholz
betonte, dass Deutschland und seine Firmen im Gegenzug anders
als China Technologien bereitstellen können, damit mehr
Wertschöpfung bei der Rohstoffverarbeitung in diesen Ländern
anfällt.

Scholz wird am Dienstag am dritten Tag seiner Zentralasienreise an einem Treffen mit allen fünf zentralasiatischen Ländern ("Z5 plus 1") teilnehmen. Die ehemaligen Sowjetrepubliken suchen angesichts der ohnehin starken Beziehungen zu China und der Angst vor Russland verstärkt Verbindungen zu Europa. Deutschland sei dabei das "Schlüsselland", sagte Tokajew. Die Bundesregierung wiederum will die Diversifizierung der deutschen Wirtschaft vorantreiben, weshalb Scholz mit einer Wirtschaftsdelegation nach Zentralasien flog.

Das Zustandekommen vieler milliardenschwerer Verträge krankt aber vor allem daran, dass der Transport von Rohstoffen aus Zentralasien nach Europa ein Problem darstellt. Als Alternative zu den bisherigen Transportwegen durch Russland müsse der sogenannte "Mittlere Korridor" - also die Verbindung durch das Kaspische Meer von Kasachstan nach Baku in Aserbaidschan - ausgebaut werden, betonten sowohl Scholz als auch Tokajew. Diese fehlende Verbindung verhindert etwa auch, dass Kasachstan mehr Öl, Gas und später Wasserstoff nach Europa liefern kann. Scholz verwies auf von der EU geförderte Projekte. "Von politischer Seite aus werden wir all das weiter flankieren", kündigte der Kanzler an.

"70 Prozent unserer Erdöl-Exporte entfallen auf die Europäische Union. Wir sind bereit, unsere Exportpotenziale weiter zu erschließen und unseren Beitrag zu leisten zur Milderung der Energiedefizite", sagte der kasachische Präsident. Am Rande des Besuchs wurde, wie von Reuters am Sonntag berichtet, auch die Verlängerung und Ausweitung der Versorgung der PCK-Raffinerie in Schwedt, beschlossen. Aber weil das Öl derzeit nur durch russische Pipelines nach Westen gepumpt werden kann, will man die Menge an fossilen kasachischen Rohstoffen nicht zu stark ausweiten.

Kanzler Scholz betonte ebenfalls das große Interesse an einer Rohstoff-Zusammenarbeit, weil die Unternehmen ihre Importquellen diversifizieren wollen. Deutschland biete anders als China an, dass die Rohstoffe zunächst in Kasachstan verarbeitet würden, was eine größere Wertschätzung für die lokale Wirtschaft schaffe. Tokajew sagte, das Prinzip laute "Technologie gegen Rohstoffe".

AUCH UKRAINE UND AFGHANISTAN SIND THEMEN

Bei dem Besuch von Scholz ging es auch um geostrategische Interessen in Zentralasien sowie um die Anwerbung von Arbeitskräften. In Usbekistan unterzeichnete Innenministerin Nancy Faeser ein Migrationsprogramm, vor allem für die Anwerbung von Fachkräften aus dem Land für deutsche Firmen. Möglicherweise sollen die Kontakte nach Usbekistan auch genutzt werden, um mehr straffällige Afghanen in das Nachbarland abschieben zu können.

Mit Tokajew besprach Scholz auch die Situation in der Ukraine. In der Bundesregierung wurde Verständnis dafür geäußert, dass sich die früheren Sowjetrepubliken nicht offen gegen Russland stellen, weil sie eine militärische Eskalation mit Moskau auch in ihrer Region fürchten. In einer am Montag unterzeichneten deutsch-kasachischen Erklärung bekennen sich beide Regierungen aber "zu den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta, der Schlussakte von Helsinki und anderer im Rahmen der OSZE verabschiedeter Dokumente sowie zu anderen allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts". Scholz betonte in einer Debatte mit kasachischen Studenten, dass es vollkommen in Ordnung sei, wenn sich Staaten nicht für die ein oder andere Seite entscheiden wollten. Deutschland wolle aber der bessere Freund sein.

SCHOLZ MAHNT: KEINE SANKTIONSUMGEHUNG

Der Kanzler mahnte zudem, dass der verstärkte Handel zwischen Deutschland und zentralasiatischen Staaten nicht zur Umgehung der EU-Sanktionen gegen Russland genutzt werden darf. Er sei dankbar für den vertrauensvollen Dialog mit der Regierung in Astana, "mit dem wir verhindern wollen, dass der Handel zwischen uns zur Umgehung von Sanktionen missbraucht wird", betonte er auf einem Wirtschaftsdialog. Hintergrund ist die zum Teil stark gestiegene Handelsbilanz mit einigen zentralasiatischen Ländern. Deshalb gibt es den Verdacht, dass von dort sanktionierte westliche Ware nach Russland gelangen könnte.

Auf der Reise von Scholz wurde deutlich, dass es weitere Differenzen mit den zentralasiatischen Staaten gibt. So klagt die Wirtschaft etwa über einen wieder zunehmend autoritären Regierungsstil in Usbekistan, wo der Präsident sich auch in privatwirtschaftliche Geschäfte einmische. In Astana sagte Tokajew kurzerhand einen gemeinsamen Presseauftritt mit Scholz ab. Als dieser von deutschen Journalisten darauf angesprochen wurde, sagte der Kanzler: "Ich würde es wünschen, dass es gute Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten gibt in aller Welt." Deshalb habe er danach alleine eine Pressekonferenz gegeben.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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