- von Jarrett Renshaw und Nandita Bose |
Washington, 01. Nov (Reuters) - Die Chefin des |
US-Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO spricht offen über |
Sexismus unter den 12,5 Millionen Mitgliedern. "Seien wir |
ehrlich", sagt Liz Shuler. "Es gibt Leute, die eine weibliche |
Kandidatin anschauen und sie sofort abtun, weil sie als nicht |
präsidial wahrgenommen wird", sagt sie. "Niemand stellt Donald |
Trump auf diese Weise in Frage." Die Rivalin des Republikaners |
bei der Präsidentschaftswahl am Dienstag, die Demokratin Kamala |
Harris, ist eine schwarze Frau, deren Abstammung sich auch nach |
Südasien zurückverfolgen lässt. Obwohl Gewerkschaften in den USA |
traditionell den Demokraten zugetan sind, muss sie hochrangigen |
Vertretern zufolge jetzt um die Unterstützung der männlichen |
Mitglieder kämpfen. |
Auch James Maravelias, Leiter der AFL-CIO in Delaware, sieht als einen Grund dafür blanken Chauvinismus. Das Problem ist besonders bei Gewerkschaften des Baugewerbes akut, sagen Arbeitnehmnervertreter: Bei den amerikanischen Elektrikern und Rohrlegern sind die Mitglieder zum Beispiel überwiegend männlich und weiß. Wo eine größere Vielfalt herrscht, etwa bei den Dienstleistungsgewerkschaften, wird eine wachsende Kluft zwischen den Geschlechtern verzeichnet. Der Rückgang der männlichen Unterstützer werde bei den Demokraten durch einen Anstieg der weiblichen Befürworter ausgeglichen, heißt es.
Der Präsident der Malergewerkschaft International Union of Painters and Allied Trades (IUPAT) mit mehr als 140.000 Mitgliedern beschreibt ebenfalls diese Entwicklung. "Ich habe mit weiblichen Mitgliedern in den Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und Ohio gesprochen", sagt Jimmy Williams. "Ich kann Ihnen sagen, dass nicht eine einzige Frau, mit der ich gesprochen habe, Donald Trump unterstützt hat, nicht eine." Das passt ins größere Bild der US-Gesellschaft, das sich aus den jüngsten Reuters-Umfragen ergibt: Trump schneidet demnach allgemein bei Männern besser ab als bei der Wahl 2020, während Harris insbesondere bei weißen Frauen zunehmend punktet.
Aber speziell die Gewerkschaften bieten Grund zur Sorge für Harris. Der spätere Wahlsieger und Demokrat Joe Biden hatte in einer Edison-Umfrage 2020 einen Vorsprung von 56 zu 40 Prozent bei Familien, in denen mindestens ein Mitglied einer Gewerkschaft angehörte. Dieser Abstand von 16 Prozentpunkten steht im Gegensatz zu den noch elf Punkten, die Harris laut Reuters/Ipsos mit 47 zu 36 Prozent bei Gewerkschaftsmitgliedern vor Trump liegt. Und auch wenn die mächtige Autogewerkschaft UAW sich hinter die Demokratin stellte, verzichtete die International Brotherhood of Teamsters dieses Mal darauf, ihren 1,3 Millionen Mitgliedern einen Kandidaten zu empfehlen. Eine Mitgliederbefragung hatte zuvor einen Vorsprung von 59,6 zu 34 Prozent für Trump ergeben.
Eine schwächelnde Unterstützung der Gewerkschaften wäre für Harris besonders bitter. Dem AFL-CIO zufolge machen Gewerkschaftsmitglieder in den Bundesstaaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin ein Fünftel der Wähler aus. Diese drei Staaten gehören zu den sieben sogenannten "swing states", in denen nach dem komplizierten US-Wahlsystem vermutlich am Ende die Entscheidung über die Präsidentschaft fallen wird. Hier waren es auch immer die Gewerkschaften, die einen großen Teil der Last des Wahlkampfes für die Demokraten getragen haben. Ihre Mitglieder zogen nach amerikanischer Tradition von Tür zu Tür, um mit den Bürgern Wahlgespräche zu führen.
Harris selbst hat sich zuversichtlich gezeigt, dass Sexismus nicht ihre Chancen auf einen historischen Einzug ins Weiße Haus schmälern wird. Die USA seien "absolut" bereit, die erste weibliche Präsidentin zu wählen, hat sie erklärt.
(geschrieben von Scot W. Stevenson, redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)