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30.09.2024 /16:52:27
TOP-THEMA-Jahresteuerung sinkt auf 1,6 Prozent - Inflation im "Wellnessbereich"

(Mit EZB-Präsidentin Lagarde, aktualisierter Umfrage zur Inflation im Euroraum)

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Jahresteuerung fällt im September auf 1,6 Prozent

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Tiefster Stand seit Februar 2021

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Kerninflation - ohne Energie&Nahrungsmittel - bleibt hoch

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Zeitpunkt und Höhe nächster EZB-Zinssenkung umstritten
 
- von Klaus Lauer
Berlin, 30. Sep (Reuters) - Die Inflation in Deutschland
ist auf den tiefsten Stand seit rund dreieinhalb Jahren
gesunken. Die Verbraucherpreise erhöhten sich im September vor
allem wegen billigerer Energie im Schnitt nur noch um 1,6
Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das Statistische
Bundesamt am Montag mitteilte. Das ist der tiefste Stand seit
Februar 2021 und weniger als die von Ökonomen erwarteten 1,7
Prozent. Im August waren es noch 1,9 Prozent. "Die
Inflationsrate plumpst weiter in den Wellnessbereich", sagte
Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe
Privatbank. Dies sei eine "gute Nachricht für Verbraucher und
die völlig kraftlose deutsche Konjunktur", betonte Chefökonom
Michael Heise von HQ Trust. "Man wird von der Zentralbank EZB in
den kommenden Monaten Zinssenkungen erwarten dürfen, aber große
Schritte und starke Ankündigungen wären deplatziert."

Von August auf September stagnierten die Verbraucherpreise. Im zu Ende gehenden Monat sanken die Energiepreise um durchschnittlich 7,6 Prozent binnen Jahresfrist. Während Waren 0,3 Prozent billiger wurden, verteuerten sich Dienstleistungen mit 3,8 Prozent überdurchschnittlich. Viele Unternehmen versuchen, gestiegene Personalkosten an ihre Kunden weiterzureichen. Für Nahrungsmittel wurden im Schnitt 1,6 Prozent mehr verlangt als im September 2023. Klammert man die schwankenden Preise für Lebensmittel und Energie aus, lag die sogenannte Kerninflation spürbar höher bei 2,7 Prozent.

"INFLATION DERZEIT KEINE GEFAHR FÜR DEUTSCHE WIRTSCHAFT"

Nach den deutschen Daten richten sich nun alle Augen auf die Europäische Zentralbank (EZB). "Zwar rechnen wir weiter mit einem erneuten Anziehen der Inflation zum Jahresende hin", sagte LBBW-Analyst Jens-Oliver Niklasch. Aber auf dem nun erreichten Niveau sei das Problem der Inflation deutlich entschärft. "Im Lichte der Zahlen wird man auch im EZB-Rat diskutieren, ob eine Senkung der Leitzinsen nicht schon im Oktober angebracht sein könnte." Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer verwies aber auf die immer noch hohe Kerninflation. "Die EZB sollte sich gut überlegen, ob sie wirklich den Terminmärkten folgt, die bereits für Oktober die nächste EZB-Zinssenkung erwarten."

Die EZB verfolgt das Abebben der Inflation nach Aussage ihrer Präsidentin Christine Lagarde mit Optimismus. "Die jüngsten Entwicklungen stärken unsere Zuversicht, dass die Inflation zeitnah wieder auf das Zielniveau zurückkehren wird", sagte Lagarde bei einer Anhörung im Europa-Parlament in Brüssel. "Wir werden das bei unserer nächsten geldpolitischen Sitzung im Oktober berücksichtigen." Die Aussagen dürften Erwartungen an den Finanzmärkten schüren, dass die EZB bereits im nächsten Monat erneut die Zinsen senken könnte. Die Märkte schätzen derzeit die Wahrscheinlichkeit für einen Schritt um weitere 0,25 Prozentpunkte auf rund 80 Prozent ein. Lagarde verwies zudem auf zuletzt schwache Konjunkturdaten und Gegenwind für die Erholung.

Das Inflationsziel der EZB für den Währungsraum liegt
bei zwei Prozent und ist so mittlerweile in Sichtweite. Die nach
einheitlichen europäischen Standards berechnete deutsche
Teuerungsrate fiel im September bereits auf 1,8 Prozent. Die am
Dienstag anstehende Inflationzahl aus der Euro-Zone dürfte laut
Reuters-Umfrage unter 46 Volkswirten ebenfalls auf 1,8 Prozent
sinken. Die EZB hatte im Juni die Zinswende nach unten vollzogen
und im September nachgelegt.

Für den wissenschaftlichen Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts, Sebastian Dullien, ist die Inflation "derzeit klar keine relevante Gefahr mehr für die deutsche Wirtschaft" - auch wenn in den kommenden Monaten wieder leichte Anstiege möglich seien. "Es ist an der Zeit, übertriebene Vorsicht in der Geldpolitik etwas zurückzunehmen und die Finanzierungsbedingungen wieder zu lockern." Die EZB hätte schon zuletzt ihre Zinsen um 0,50 Prozentpunkte lockern sollen statt nur um 0,25 Prozentpunkte. "Sie sollte nun bis zum Jahresende zügig weitere Zinssenkungen beschließen, um ihr übertriebenes Zögern der vergangenen Monate auszugleichen", erklärte Dullien.

(Bericht von Klaus Lauer, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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