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11.01.2025 /12:56:09
ANALYSE-Führung in Umfragen - Aber auf Union lauern Risiken im Wahlkampf

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CSU und Söder bleiben Unsicherheitsfaktor



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Trump und Musk lenken mediale Aufmerksamkeit von Sachthemen ab



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Kanzlerkandidat Merz mit schlechten Werten

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Wie stark wird die AfD?
 
- von Andreas Rinke
Hamburg, 10. Jan (Reuters) - Auf dem Papier sieht die
Aufgabe für die Union ganz einfach aus: CDU und CSU gehen laut
Umfragen auch zu Jahresanfang mit einem großen Vorsprung in die
heiße Phase des Bundestagswahlkampfes. Die Unzufriedenheit mit
den Ampel-Parteien und ihren Hauptvertretern ist demnach groß.
Alles sieht nach einem Sieg bei der Bundestagswahl am 23.
Februar aus. Allerdings wurde auf den Klausurtagungen der
CSU-Landesgruppe im Bundestag und des CDU-Bundesvorstands trotz
aller Siegesgewissheit auch leichte Nervosität deutlich - aus
verschiedenen Gründen.
RISIKO SÖDER UND CSU

In dieser Woche wurde klar, dass CDU und CSU zwar gemeinsam zurück in die Regierung wollen - das Verhältnis aber trotz aller Bekenntnisse keineswegs spannungsfrei ist. Dies liegt zum einen an der Person Markus Söder, der 2021 und 2025 selbst gerne Unions-Kanzlerkandidat geworden wäre. Zum anderen haben die Bundespartei CDU und die bayerische Regionalpartei CSU teilweise unterschiedliche Interessen.

So argumentiert die CSU damit, dass ein klarer Anti-Schwarz-Grün-Wahlkampf ihr in Bayern nutze. Tatsächlich liegt sie derzeit bei 44 bis 45 Prozent, was die nötige Basis für einen Wahlsieg der gesamten Union wäre. Aber in anderen Teilen Deutschlands ist die Stimmung anders, CDU-Ministerpräsidenten reagieren genervt. Söders Ausschluss-Rhetorik lässt Kanzlerkandidat Friedrich Merz defensiv wirken, der wie viele andere CDU-Politiker ein Bündnis mit den Grünen zumindest nicht ausschließen will. "Markus Söder wird gerade zu einem echten Problem für Friedrich Merz", stichelte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck bereits süffisant in einem Zeitungsinterview.

Und die CSU hat mit ihrem Pochen auf die erneute Reform der Mütterrente, der Ernennung eines Landeswirtschaftsministers und der Ansage, dass der Koalitionsausschuss das zentrale Steuerungsinstrument einer künftigen Regierung werden soll, klar gemacht, dass sie ihre Blockademacht in Berlin im Falle eines Wahlsieges knallhart ausspielen will. Wer Merz will, wird also auch Söder bekommen.

RISIKO TRUMP UND MUSK

CDU-Chef Merz und Generalsekretär Carsten Linnemann bemühen sich seit Tagen, ihre Agenda in der Öffentlichkeit prominent zu platzieren - was aber nur begrenzt gelingt. Mit dem Slogan "Agenda 2030" wurde in Hamburg ein Programm beschlossen, dass Steuerentlastungen und ein Wachstum von zwei Prozent bringen soll. Die Republik soll über Wirtschaft, Sicherheit und Migration reden, also Themen, bei denen die Union gute Kompetenzwerte hat. Aber aus den USA kommen ständige Störfeuer vom Duo Donald Trump und Elon Musk.

Der designierte US-Präsident Trump hat mit seinen Gebietsansprüchen auf andere Länder eine Debatte aufgemacht, die nicht nur antiamerikanische Ressentiments etwa bei BSW, Linken oder AfD stärkt. Er bietet nach Unions-Einschätzung auch Kanzler Olaf Scholz die Gelegenheit, sich als besonnener, mahnender Chef der größten europäischen Volkswirtschaft zu profilieren. "Nach dem Amtsantritt von Trump am 20. Januar muss der Wahlkampf vielleicht neu sortiert werden", fürchtet ein führender CDU-Politiker.

Der Trump-Berater, Tesla-Chef und X-Eigentümer Musk wiederum ruft zur Wahl der AfD auf und zieht mit einem Gespräch mit AfD-Co-Chefin Alice Weidel die Aufmerksamkeit der Medien weg von den Unions-Themen.

RISIKO UKRAINE-KRIEG

Auch das Thema Ukraine-Krieg gilt als Unsicherheitsfaktor. Eigentlich trieb die Union SPD-Kanzler Scholz bei der Waffenhilfe vor sich her. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte zwei Bundestags-Resolutionen mit der Forderung eingebracht, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern, was Scholz ablehnt. Aber weil Trump einen schnellen Waffenstillstand suchen könnte, hat sich die Debatte bereits gedreht. CSU-Chef Söder hat plötzlich Bedenken bei einer - in der Bevölkerung eher unpopulären - Taurus-Lieferung. Merz will dies nun von Koalitionspartnern und der Meinung europäischer Verbündeter abhängig machen.

RISIKO KANZLERKANDIDAT

Sehr oft ziehen Kandidaten ihre Partei nach oben. Laut ARD- und ZDF-Umfragen ist die Zustimmung für Merz aber zu Jahresanfang zurückgegangen. Bei der CDU tröstet man sich damit, dass die Werte für Kanzler Scholz noch schlechter sind. Aber ein Zugpferd ist Merz für die Union laut Umfragen bisher nicht gewesen. SPD und Grüne lauern nur auf Fehler, die der CDU-Chef bei den Dutzenden anstehenden Wahlkampfauftritten noch machen könnte. In der Union gibt es eine doppelte Hoffnung: Geht es im Wahlkampf um Wirtschaft, nutzt dies am Ende Merz, weil ihm laut den Allensbach-Meinungsforschern eine Kompetenz von 50 Prozent zugewiesen wird - Scholz aber nur zwölf und Habeck elf Prozent. Außerdem setzt die Partei darauf, dass der Wunsch nach einem Politikwechsel bei den Wählern so groß ist, dass der Kandidat nicht die entscheidende Rolle spielen muss.

RISIKO ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT

Die Union hat die Latte für eine Regierungsübernahme mittlerweile sehr hoch gelegt: Merz drohte möglichen Koalitionspartnern schon in Kloster Seeon, dass sie den Politikwechsel bei Wirtschaft und Migration mitmachen müssten, sonst blieben sie "am Wegesrand stehen". Das klingt entschlossen. Aber da eine absolute Mehrheit oder eine schwarz-gelbe Koalition als unwahrscheinlich gelten, ist die Frage, was passiert, wenn SPD und Grüne radikale Reformen etwa bei Migration nicht mitmachen wollen. Eine Koalition mit der AfD hat Merz am Freitag erneut kategorisch ausgeschlossen, dies wäre also keine Lösung. In der Union gibt es Stimmen, die sagen, dass die CDU ohne die Chance auf die Umsetzung radikaler Reformen dann lieber auf die Bildung einer Regierung verzichten sollte - dagegen steht aber staatsbürgerliche Verantwortung, dass Mitte-Parteien kompromissbereit sein sollten.

RISIKO ANSCHLÄGE UND AFD

Und noch eine Gefahr lauert vor der Wahl - allerdings für alle Parteien der politischen Mitte. Jeweils kurz vor den Europa- und Landtagswahlen im vergangenen Jahr hatten schwere Anschläge die Stimmung zugunsten der AfD verändert. Ohnehin gibt es eine spürbare Unsicherheit nicht nur in der Union, sondern auch der SPD, wie stark die rechtspopulistische Partei tatsächlich werden wird. Denn ihren Wahlkampf hat sie mittlerweile - wie dies bei der FPÖ in Österreich war - vor allem in eigene Kanäle auf sozialen Netzwerken verlagert.

(redigiert von Christian Rüttger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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